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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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packten sie mich. Am stärksten beeindruckte mich die schöne Unpersönlichkeit der Natur. Ich hätte nie gedacht, daß sie mich so plötzlich und mit solcher Kraft hätte überwältigen können. Die Stille und das stille Geräusch des Flusses hatten nichts mit mir oder mit irgendeinem von uns zu tun. Sie hatten nichts zu tun mit dem Ort, den wir vor kurzem verlassen hatten, dem schäbigen Ort mit den spärlichen Straßenlaternen in der dunklen Gebirgsnacht, mit den Kneipen und den Gesichtern der Bauern im matten Licht des Marktplatzes oder mit dem einzigen Kino, wo man einen Film zeigte, der in der Nachbarstadt bereits im Spätprogramm des Fernsehens lief.
    Ich döste, so wie ich es während der Autofahrt mit Lewis am Morgen getan hatte, und sah wieder die blauen Hügel vor mir, denen wir uns näherten, die wechselnden Formen und Farben und Perspektiven. Aber jetzt fuhr ich mit meinen Gedanken irgendwie rückwärts, fort von den Hügeln, an den Strumpfgirlreklamen und Jesusplakaten vorbei, zurück zu den Raststätten, den Motels und dem Einkaufszentrum am Rand der Stadt, in der Martha und Dean waren, und es war wie ein Schock, als mir plötzlich bewußt wurde, daß ich nicht bei ihnen war, daß ich vor mich hin blickte in das düstere Wasser.
    Martha saß im Augenblick sicher mit Dean vor dem Fernsehapparat und machte sich Sorgen. Sie war es nicht gewohnt, die Nacht ohne mich zu verbringen, und ich sah sie deutlich vor mir, wie sie dort saß, mit gefalteten Händen, in der Pose der tapferen Dulderin. Sie litt nicht gerade schwer, aber immerhin, sie litt, die Füße in warmen Pantoffeln.
    Mit ein paar kräftigen Paddelschlägen brachte ich uns dicht an das grüne Kanu heran. Ein Insekt prallte wie ein Geschoß gegen meine Lippen.
    »Findet ihr nicht auch, daß wir langsam unser Lager aufschlagen sollten?« sagte ich zu Lewis.
    »Ja, finde ich auch. Wenn wir noch weiterfahren, wird das Ufer vielleicht zu steil, und dann kommen wir nicht mehr rauf. Sucht ihr auf der linken Seite, und wir beide suchen auf dem rechten Ufer nach einem geeigneten Platz!«
    Wir passierten gerade ein paar kleine, im Zwielicht phosphoreszierende Stromschnellen, fühlten dabei kaum mehr als eine leichte Änderung der Strömung unter uns, aber das genügte, um uns an die Mühe und den Ärger denken zu lassen, die wir haben würden, wenn wir die Ausrüstung in der Dunkelheit durchs Wasser an Land tragen mußten. Die Bäume und Büsche in meinem Blickfeld wurden langsam zu einer kompakten Masse, und es wurde immer schwerer, Einzelheiten zu erkennen. Aber rechts vor mir schien sich, ungefähr einen Meter über der Wasseroberfläche, ein Ufervorsprung zu befinden. Ich machte Lewis darauf aufmerksam, und er nickte. Ich steuerte das Boot ans Ufer, indem ich gegen die Strömung paddelte. Mit einem weichen, dumpfen Ruck stießen wir ans Ufer. Ich stieg vorsichtig ins Wasser und hielt das Boot fest; die glitschige Kälte um mich herum war voller nächtlicher Lebewesen.
    Drew kletterte ans Ufer und band das Kanu an einem kleinen Baum fest. Ich zog mich an der Böschung hoch. Bobby und Lewis manövrierten ihr Boot längsseits. Die Haare auf meiner Schulter sträubten sich vor Unbehagen. Wir holten unsere Sachen aus den Booten und begannen das Lager aufzuschlagen.
    Lewis hatte ein paar starke Taschenlampen mitgebracht, die er jetzt an Baumstümpfen und in Astgabeln befestigte, damit der Platz gut beleuchtet war. Innerhalb und außerhalb dieses Lichtkreises verrichteten wir die uns noch nicht vertraute Arbeit. Lewis schien genau zu wissen, wo sich alles befand, und ging herum und legte alles so auf dem Boden zurecht, daß ein richtiges Lager daraus entstehen konnte: die beiden Zelte, den Grill, die Luftmatratzen, die Schlafsäcke. Drew und Bobby schafften nicht gerade viel, obgleich sie sich alle Mühe gaben, sich nützlich zu machen; ich sah ein, daß es sinnlos war, herumzustehen und Lewis alles allein machen zu lassen, obgleich er es sicher auch ohne mich geschafft hätte. Ich war müde und beschäftigte mich darum unwillkürlich mit den Dingen, die etwas mit Schlaf zu tun hatten. Ich pumpte die Luftmatratzen mit einem Handblasebalg auf, alle vier. Das dauerte eine gute halbe Stunde. Ich pumpte und pumpte, während der Fluß vor mir schwach leuchtete und der Wald hinter mir schwärzer und schwärzer wurde. Lewis stellte die Zelte auf, und Bobby und Drew machten sich unter großem Getue ans Holzsammeln. Als die Zelte standen und wir die Luftmatratzen und

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