Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
Vom Netzwerk:
sah die Welt wie durch geschlossene Augen. Ich muß mich irgendwie hinlegen, dachte ich, sonst falle ich noch in den Fluß. Keine schlechte Aussicht, um die Wahrheit zu sagen. Es wäre wundervoll gewesen, mich noch einmal, vielleicht für immer, dem Wasser anzuvertrauen. Das hier war zu schwer, das hier war einfach zu schwer. Das war es, und ich wußte es. Jeder hätte es gewußt. Wir passierten einige kleinere Stromschnellen, die uns schüttelten und unsere Geschwindigkeit etwas beschleunigten. Das Wasser war hier tief und kraftvoll, aber es gab keine Hindernisse, und wir gelangten hindurch, ohne viel manövrieren zu müssen. Ich war sicher, daß es nicht mehr weit sein konnte. Wo würden wir herauskommen? Was gab es dort zu sehen, von Menschenhand geschaffen, und was würde es uns bedeuten? Was würden wir sehen, wenn wir den Fluß für immer verließen?
    Lewis lag mit aufgeknöpfter Hose und losem Gürtel still im Kanu; er sah aus wie irgend etwas Großes, das zerbrochen war. Um den Bruch am Oberschenkel waren die kräftigeren Muskeln bläulich angelaufen. Mit seiner freien Hand – die andere lag immer noch auf seinem Gesicht – stemmte er sich gegen die Bootswand, und ich dachte, daß er jetzt vielleicht versuchte, die Schmerzen in seinem Bein zu besänftigen und zu vergessen, indem er in einer besonderen Weise Druck auf sein Bein ausübte. Der Arm, mit dem er sich hochstemmte, schien starr, und die Muskeln am Oberarm bebten im Rhythmus der Strömung, so daß man jeden Felsen, über den wir hinweggetragen wurden, an der vibrierenden Bewegung ablesen konnte. Der Fluß war jetzt sehr schnell, aber ohne Stromschnellen. Das Wasser war tief und tiefgrün. Es war eine leichte Strecke, die leichteste von allen, und jedesmal, wenn es mir gelang, den Kopf zu heben, stand vor meinen Augen das ersehnte Bild der Highway-Brücke. Aber sie wollte nicht Wirklichkeit werden. Jedesmal verschwamm das Bild der Brücke wieder, um dann ganz zu verschwinden. Weit vor uns lag etwas, das wie eine Reihe von Stromschnellen aussah mit ein paar riesigen Felsblöcken darin. Ein dumpfes, eher angenehmes als erschreckendes Geräusch drang von dort zu uns herüber. Und da zeichnete sich wieder eine bewaldete Biegung des Flusses ab. Wir näherten uns dem hellen, weißen Wasser und hatten es beinahe erreicht, als ich Drews Körper erblickte, der zwischen den Felsen eingeklemmt war und uns entgegenstarrte. Ich sagte es Bobby, aber er brachte es nicht fertig, den Kopf zu heben. Er brachte es nicht fertig, und ich wußte, daß er es nicht fertigbringen würde, und machte ihm keine Vorwürfe deswegen.
    Aber irgend jemand mußte hinsehen, mußte etwas unternehmen, und es war besser, wenn wir beide es versuchten.
    »Hör mal«, sagte ich. »Reiß dich zusammen und hilf mir.«
    Ich steuerte auf Drew zu, auf die Stelle zwischen den Felsen, paddelte hart gegen die Strömung, die uns an ihm vorbeireißen wollte. Ich drehte das Kanu so gut wie möglich bei und flehte die Felsen an, uns zu halten, uns zu helfen – sie taten es. Wir hielten an, von der Strömung leicht gegen den Fels gepreßt, und ich stieg aus auf den vom Wasser umspülten rauhen Felsen. Mit großer Anstrengung zog ich das Boot quer zur Strömung und stieß Bobby kräftig gegen die Schulter, so kräftig, wie ich konnte, aber doch nicht kräftig genug. Um nachzuhelfen, griff ich nach dem Messer.
    »Hörst du mich endlich?« sagte ich mit gepreßter Stimme. »Du hilfst mir jetzt, oder ich bringe dich um, wenn du noch länger auf deinem nutzlosen Arsch da hockst. Nun komm schon. Wir müssen das hier erledigen.«
    Bobby ließ sich langsam ins Wasser gleiten, schwankte mit der Strömung, und seine Augen blickten überallhin, nur nicht zu mir. Drew saß aufrecht da, flußaufwärts blickend, auf zwei großen Steinen, wie auf einem natürlichen Stuhl, Wasser strömte zwischen den beiden Steinen hindurch. Ein flacher Fels lenkte es von der Hauptströmung hierher. Er saß da, halb liegend, in einer sehr bequemen, sorglosen – geradezu sorgenfreien – Haltung. Das Wasser brandete an ihm hoch und brach sich oben an seiner Brust, und der Gischt sprühte in seinen offenen Mund und bildete über seinen Lippen etwas wie eine zitternde, silberne Glocke, unter der eine Goldfüllung blitzte. Die Strömung hatte seine Augenlider stark zurückgedrängt, und so schien er über das Wasser zurück zu den Bergen zu sehen, über alle Flußwindungen hinweg ins Unendliche hinein. Der Druck der Strömung hatte auch

Weitere Kostenlose Bücher