Flut: Roman (German Edition)
Pjotr. »Ich will ganz ehrlich sein: Ich würde Sie nur ungern töten. Es ist viel einfacher, wenn ich Sie am Leben lasse.« Er deutete in die Richtung, aus der das lauter werdende Rotorengeräusch kam. »Es ist leichter, wenn Sie Ihren Freunden sagen, was geschehen ist und was ich möchte. Ich werde die Kinder mitnehmen.«
»Sie sind völlig wertlos für Sie«, murmelte Torben.
»Das mag sein«, antwortete Pjotr ruhig. »Aber nicht für Sie.«
»Sie … Narr«, sagte Torben leise. Er lauschte in sich hinein. Sein Knie war immer noch taub, er spürte nicht den geringsten Schmerz, aber er konnte fühlen, wie stark er blutete. Und da war etwas wie ein unangenehmes Kribbeln, das sich von seinem Knie ausgehend langsam in seinem Körper auszubreiten begann. »Sie haben ja keine Ahnung, worauf Sie sich einlassen. Mit wem Sie es zu tun haben. Diese Kinder sind … gefährlich.«
»Gefahr ist mein Beruf«, sagte Pjotr leichthin. »Also?«
Er spürte nun doch einen leichten Schmerz. Wenn auch nicht im Knie, aber nun in seiner rechten Hüfte, auf die er gefallen war. Er trug etwas Hartes in der Jackentasche, das auf seinen Knochen drückte.
»Ich könnte Ihnen jetzt auch noch das andere Knie zerschießen«, sagte Pjotr gelassen. »Aber ich werde es nicht tun. Ich werde Sie töten und die Kinder mitnehmen, oder Sie sagen mir, was ich wissen will, und ich lasse Sie am Leben. So haben Sie wenigstens die Chance, sie zurückzuholen.«
Torbens Blick fiel auf das winzige Bündel, das zwei oder drei Meter entfernt auf dem Dach lag. Ein weniger als handflächengroßes, blasses Gesichtchen sah ihm daraus entgegen. Winzige, wissende Augen, die direkt auf den Grund seiner Seele blickten. Der Schmerz in seiner Hüfte schien für einen Moment stärker zu werden und dann erinnerte er sich auch, was dort auf seinen Knochen drückte: Es war die Waffe, die er im Kreißsaal eingesteckt hatte. Mühsam wälzte er sich auf den Rücken, um Pjotr anzusehen. Seine rechte Hand bewegte sich wie zufällig zu seiner Jackentasche und hielt einen Moment davor inne. Trotzdem natürlich nicht unauffällig genug. Pjotr entging die Bewegung nicht und er musste wissen, was in Torbens Tasche war. Aber er zeigte sich kein bisschen beunruhigt. Ganz im Gegenteil schien er sogar wieder zu lächeln. »Was wollen Sie?«, fragte Torben. »Geld?«
»Was sonst?«, fragte Pjotr.
»Geld?«, fragte Torben noch einmal ungläubig. »Sie … Sie unglaublicher Narr! Sie haben ja keine Ahnung, was auf dem Spiel steht!«
»Es geht immer nur um Geld«, behauptete Pjotr achselzuckend. Er schwenkte die Uzi herum und richtete sie nun auf Torbens Gesicht. »Also?«
Statt zu antworten, zog Torben die Waffe aus der Jackentasche und zielte damit auf den Russen. Er war fest davon überzeugt, dass Pjotr ihn erschießen würde, noch bevor er die Bewegung auch nur halb zu Ende gebracht hatte, aber der Söldner verzog nur geringschätzig die Lippen.
»Sie müssen sie entsichern«, sagte er. »Der kleine Hebel an der Seite. Sie müssen ihn nach oben schieben, sonst funktioniert das Ding nicht.«
Der Helikopter war jetzt so laut geworden, dass es nur noch Sekunden dauern konnte, bis die Maschine auf dem Dach aufsetzte. Torben schob den Sicherungshebel nach oben und Pjotr erschoss ihn immer noch nicht.
»Jetzt haben wir ein Problem, nicht wahr?«, fragte der Russe ruhig. »Entweder erschießen Sie mich oder ich Sie. Haben Sie den Mut abzudrücken? Es ist gar nicht so leicht, wie die meisten sich das vorstellen. Und aus dieser Entfernung auch eine ziemliche Schweinerei.«
»Warum tun Sie das?«, fragte Torben. »Das … das ist doch Wahnsinn!«
»Vielleicht will ich herausfinden, was Ihnen diese Kinder wert sind«, antwortete Pjotr. »Sie können sich nicht damit herausreden, dass Sie ihr Leben verteidigen müssen. Ich werde ihnen nichts tun. Ich liebe Kinder, wissen Sie? Ich würde ihnen kein Haar krümmen. Aber ich werde sie mitnehmen.« Er legte den Zeigefinger um den Abzug seiner Waffe. »Sind Sie bereit, für sie zu töten? Einer von uns wird schießen, wenn der Hubschrauber aufsetzt. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung, wer es ist.«
»Sie sind wahnsinnig«, flüsterte Torben. »Völlig wahnsinnig!« »Nein«, antwortete Pjotr. »Ich bin ein Verbrecher. Sagen Sie nicht, das hätten Sie nicht gewusst.«
Das Dröhnen der Helikoptermotoren hatte mittlerweile eine Lautstärke erreicht, die Pjotrs Worte fast verschluckte. Noch wenige Sekunden. Was sollte er tun? Was sollte
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