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Flut

Flut

Titel: Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Galera
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Teigtasche mit Fleisch, deswegen interessiert er sich jetzt weniger für die Restaurants als für die Schilder der Immobilienbüros, die um diese Zeit alle geschlossen sind. Er lenkt den Wagen durch den ruhigen Verkehr weiter in Richtung Meer, kleine Gruppen lethargischer Fußgänger in Badesachen kommen ihm entgegen, steuern träge die Restaurants an oder laufen mit ihren Klappstühlen und Strandtaschen nach Hause. Vor mehr als einer Woche hat der Aschermittwoch die großen Touristenmassen aus dem Ort geschwemmt, und die wenigen, die geblieben oder jetzt erst gekommen sind, strahlen die Ruhe der Zuspätgekommenen aus. Die Hauptstraße endet in einer Rechtskurve und wird zur Strandstraße. Er parkt auf dem Platz schräg gegenüber vom Strand, in der prallen Sonne. Er geht ums Auto herum und öffnet die Beifahrertür. Beta hebt den Kopf, bleibt aber liegen. So wie auch die anderen drei Male, als sie kurz haltgemacht haben, muss er sie hochheben und hinstellen, damit sie etwas von dem lauwarmen Wasser aus dem Fünfliter-Plastikkanister trinkt, das er in einen leeren Eisbecher gießt. Er selbst trinkt den Rest. Er zieht Hemd und Turnschuhe aus und hat jetzt nur noch eine Badehose an. Nachdem er den Wagen abgeschlossen hat, geht er mit Beta auf den Armen die Rampe neben dem Restaurant Embarcação zum Strand hinunter. Nachsaison-Touristen liegen im Sand verteilt. Er geht auf eine Frau zu, die allein unter einem Sonnenschirm liegt, raucht und ein Buch liest. Der Umschlag des Buches ist lila. Ihre Knie sind tief gebräunt, die Fußnägel perlmuttfarben lackiert, am Knöchel trägt sie ein Goldkettchen. Auf dem blauen Sonnenschirm prangt das Logo einer Versicherungsfirma, das gefilterte Licht verleiht ihren nackten Beinen einen grünlichen Ton. Das alles prägt er sich ein, um sich später an sie zu erinnern.
    Hallo. Würde es Ihnen etwas ausmachen, kurz auf meinen Hund aufzupassen?
    Sie hebt die Sonnenbrille an und wirft einen langen Blick auf das Tier in seinen Armen.
    Kann der nicht laufen?
    Doch, kann sie, aber sie ist zu müde. Wenn ich sie unter Ihren Sonnenschirm in den Schatten legen könnte, bleibt sie da liegen und rührt sich nicht von der Stelle, bis ich wieder da bin.
    In Ordnung, lassen Sie sie hier. Aber ich laufe nicht hinterher, falls sie abhaut.
    Das wird sie nicht. Und wenn doch, ist es egal. Dann suche ich sie später.
    Wie heißt sie?
    Beta.
    Er legt die Hündin in den Schatten und läuft zum Wasser, der breiartige Sand fühlt sich kühl an. Das Meer ist ruhig, im leichten Südwind brechen sich die zarten Wellen fast ohne Schaum auf der glatten Oberfläche. Als das kalte, klare Wasser seinen Bauch erreicht, hebt er reflexartig die Arme. Er hält die Hände hinein, um sich den Puls zu befeuchten und den Temperaturschock abzuschwächen, das hat er von seinem Vater gelernt. Und obwohl es noch nie funktioniert hat, macht er es jedes Mal wieder. An Tagen wie diesen weckt das Meer seinen kindlichen Blick, der alles in Miniaturform erscheinen lässt. Kleine Wellen direkt über der Wasseroberfläche verwandeln sich in mythologische Meerbeben, der wellige Sand auf dem Meeresgrund ist eine riesige Wüste und das chitinöse Gehäuse eines Krebses das Gerippe eines vor Jahrtausenden ausgestorbenen Ungetüms. Mit angehaltenem Atem und aufgerissenen Augen, die Brust auf den scheuernden Sand gepresst, sieht er die winzigen Dünen, die sich um ihn herum ausbreiten, bis sie vom trüben Wasser verschluckt werden. Über ihm bricht sich das Sonnenlicht in der Wasseroberfläche, ein Schwarm weißer Splitter, die sich zu keinem geometrischen Muster fügen. Er taucht wieder auf, schwimmt mit langen Zügen hinaus und spürt den Widerstand des Salzwassers. Die vor Kälte schmerzenden Muskeln lockern sich langsam. Als er innehält, ist ihm warm, und der Meeresgrund liegt tief unter ihm. Am Horizont sieht er die Ilha do Coral, der weiße Leuchtturm ist aus der Ferne kaum zu erkennen, und ein ganzes Stück weiter den südlichen Zipfel der Ilha de Santa Catarina, deren blassgrüne Berge sich in der Atmosphäre auflösen. Eine Möwe streift knapp das Wasser in ihrem rasanten Flug auf die Bucht vor der Praia da Vigia, wo zwischen einem Dutzend Fischerbooten ein Zweimaster mit dem Namen Lendário, der in roten Buchstaben auf dem weißen Rumpf steht, sanft schaukelnd vor einem Holzsteg liegt. Er wendet dem Meer den Rücken zu und blickt zum Strand. Er ist weiter rausgeschwommen, als er angenommen hatte. Er sieht die Fischerschuppen,

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