Flut
die Front in grauem Holz oder Pastelltönen den Wellen zugewandt, die Pensionen und Restaurants an der Promenade, das Pinienwäldchen beim Campingplatz, Ziel einzelner Schwalben, die aus allen Richtungen angeflogen kommen, den kleinen Hügel vor der Praia do Siriú, deren cremefarbene Dünen sich kilometerweit bis zur Felsküste erstrecken, hinter der sich der ruhige Strand Praia da Gamboa versteckt. Eine Welt in Gold, Blau und Grün. Geblendet von den Sonnenstrahlen, die in den Windschutzscheiben der Autos reflektieren, holt er tief Luft und sinkt in Richtung Grund. Mit offenen Augen harrt er dort aus, solange er kann. Hier unten fühlt er sich geschützt. Er kommt wieder hoch und lässt sich aufrecht treiben, sein Körper hat sich inzwischen an die Temperatur gewöhnt, er schmeckt und riecht das Salz. Er merkt nicht, wie die Zeit vergeht, und kommt erst aus dem Wasser, als er spürt, wie ihm die Sonne die Stirn verbrennt.
Als er auf die Frau zugeht, fängt sie gleich an, sich zu verteidigen.
Sie haben gesagt, ich soll nichts machen. Sie würde sich nicht von der Stelle rühren. Und jetzt ist sie weg. Ich hab noch versucht, Sie zu rufen, aber Sie waren ja so weit draußen, sprudelt sie los, und erst jetzt hört er an ihrem Akzent, dass sie offenbar aus Minas Gerais kommt. Im Sand ist noch der Abdruck der Hündin zu sehen.
In welche Richtung ist sie gelaufen?
Da lang.
Er bedankt sich und läuft durch den Sand in Richtung Praia do Siriú, vorbei an einem Kiosk, vor dem mehrere dickleibige Männer und Frauen unter Strohschirmen sitzen, am unbemannten Wachhäuschen der Rettungsschwimmer, an einer Plattform mit ein paar Stangen für Fitnessübungen. Langsam läuft er weiter, bis er Beta vor dem Campingplatz stehen und Wasser aus einem Rohr trinken sieht. Er kniet sich neben sie und streicht ihr die Ohren nach hinten. Die Hündin atmet schwer, die Zunge hängt ihr tropfend aus dem Hals. Sie sieht aus, als würde sie lächeln, so wie Hunde es immer tun, wenn sie schwitzen. Du Ausreißerin, sagt er streng. Eigentlich ist ihr eigenmächtiger Spaziergang aber ein willkommenes Zeichen, nach dem Tod seines Vaters hatte sie jeden Antrieb verloren. Sie begleitet ihn zurück zum Wagen, bleibt aber zwischendurch mehrmals stehen, so dass er sie rufen muss. Er spricht ihren Namen im gleichen trockenen Befehlston aus wie sein Vater.
Am Nachmittag sieht er sich nach einer Bleibe um. Er geht in drei Maklerbüros und bekommt eine einzige Telefonnummer. Angeblich haben sie keine Angebote, jedenfalls nicht auf Jahresbasis. Einer der Makler reagiert beinahe wütend. Die Leute mieten hier nicht für ein Jahr, sondern nur über die Feiertage oder für die Saison. Wir versuchen, diese Gewohnheit zu verändern. Garopaba wird in den nächsten Jahren stark wachsen. Immer mehr Menschen ziehen hierher. Die Eigentümer wollen im Sommer das große Geld machen und den Rest des Jahres ihre Ruhe haben. Hier werden Sie nichts finden.
Also macht er sich selber auf die Suche und fährt inStrandnähe durch die Straßen, hält nach Zu-vermieten-Schildern Ausschau und trägt die Adressen in einen Stadtplan ein. Anders als die Makler behaupten, sind viele Eigentümer bereit, für ein Jahr zu vermieten. Eines der fraglichen Häuser liegt in der Rua dos Pescadores, mitten in der Altstadt, direkt hinter den Fischerschuppen. Es hat zwei Fenster mit beigen Jalousien und reicht fast bis ans Kopfsteinpflaster, auf dem sonnengebräunte Kinder barfuß und fast nackt mit einem kaputten Ball Elfmeterschießen spielen. Es riecht nach Fisch und Abwasser. Das Meeresrauschen wird übertönt vom Gelächter eines alten Mannes, dem Klacken von Billardqueues und dem Getuschel der Frauen auf der Veranda gegenüber.
Der Besitzer ist ein Argentinier namens Ricardo und ein bisschen nervös, zumindest schweift er regelmäßig ab, als müsse er ein wichtiges Problem lösen. Wahrscheinlich ist er Anfang vierzig, seine Augen sind wässrig, und er hat graue Bartstoppeln. Sie laufen über die Einfahrt nach hinten zur Haustür. Der Grill aus aufeinandergestapelten verrußten Ziegeln scheint viele Sommer zuvor errichtet worden zu sein. Der Innenhof ist teils asphaltiert, teils mit Schotter bedeckt, Boden und Wände der Veranda bestehen aus grässlichen weißen Kacheln, die an Kälte und Tod erinnern. Drinnen ist es sehr ordentlich, aber zu dunkel, selbst bei geöffneten Fenstern. Die Geräusche dieses ruhigen Nachmittags hallen in den Räumen wider und lassen erahnen, was für ein
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