Flut
sie zumindest nicht gefehlt. Was ihn wirklich fertiggemacht hat, war, als meine Mutter an Peritonitis gestorben ist. Ich war damals achtzehn. Danach war das Leben nie mehr so wie früher, weder für mich noch für ihn.
Sein Vater hält inne und trinkt einen Schluck Bier.
Seid ihr aus Taquara weggegangen, nachdem Großmutter gestorben war?
Nicht direkt, wir haben noch eine Weile auf dem Bauernhof gelebt. Zwei Jahre vielleicht. Aber es wurde alles immer seltsamer. Dein Großvater war seiner Frau sehr zugetan gewesen. Er war der treueste Mann, den ich kenne. Es sei denn, er hatte seine Geheimnisse … aber dann hätte er schon sehr diskret sein müssen. Und das war praktisch unmöglich in einer Kleinstadt, wo jeder alles über jeden weiß. Die Frauen waren alle hinter ihm her. Er war ein Mordskerl, so mutig, und dann spielte er auch noch Gitarre. Ich weiß das, weil ich auch auf den Festen war und sehen konnte, wie die Frauen auf ihn flogen, egal ob alleinstehend oder verheiratet. Meine Mutter hat außerdem mit ihren Freundinnen darüber gesprochen. Er hätte der größte Liebhaber der ganzen Gegend sein können, stattdessen war er absolut treu. Die ganzen hübschen deutschen Frauen, die es mit ihm treiben wollten, Ehefrauen, die Lust auf ein Abenteuer hatten. Ich selbst war da weniger zurückhaltend. Und mein Vater schimpfte mich aus. Ich sei ein Schwein, das sich im Dreck suhle. Hast du schon mal gesehen, wie sich ein Schwein im Dreck suhlt? Das ist der Inbegriff des Glücks. Aber nach der Moral deines Großvaters musste ein Mann sich eine Frau suchen, die ihn mochte, und ein Leben lang für sie da sein. Wir stritten viel deswegen. Und ich bewunderte ihn dafür, als meine Mutter noch am Leben war, aber nach ihrem Tod kultivierte er weiter diese absurde Auffassung von Treue, gegenüber einer Frau, die gar nicht mehr da war. Es war nicht unbedingt Trauer, zumal er schon bald wieder auf Feiern ging, Gitarre spielte und bei jeder Gelegenheit Streit anfing. Damals begann er zu trinken. Die Weiber umschwirrten ihn wie die Fliegen das Fleisch, und allmählich wurde er hier und da weich, aber insgesamt blieb er doch seltsam keusch. Das war etwas, das ich nie verstanden habe und auch nie verstehen werde. Und so kam es, dass wir uns immer mehr voneinander entfernten. Nicht direkt deswegen natürlich, obwohl unsere Vorstellungen über den Umgang mit Frauen tatsächlich sehr gegensätzlich waren. Aber es gab eben immer öfter Streit.
Und dann bist du nach Porto Alegre gekommen?
Genau. Das war 1965. Ich war gerade zwanzig geworden.
Und worüber habt ihr euch gestritten?
Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll. Das Hauptproblem war, dass er mich für einen nutzlosen Weiberheld hielt, der nichts vom Leben wollte und nicht das geringste Interesse am Bauernhof, an der Arbeit oder an irgendwelchen moralischen oder religiösen Ideen hatte. Womit er vollkommen recht hatte, obwohl ich fand, dass er das ein bisschen übertrieben darstellte. Ich schätze, irgendwann hatte er einfach keine Geduld mehr mit mir. Ich war bestimmt keinhoffnungsloser Fall, aber dein Großvater … na ja. Eines Tages bekam ich seinen berüchtigten Jähzorn zu spüren. Und am Ende schickte er mich nach Porto Alegre.
Hat er dich geschlagen?
Sein Vater antwortet nicht.
Okay, vergiss es.
Sagen wir so, wir haben ein paar Ohrfeigen ausgetauscht. Ah, scheiß drauf. Das interessiert jetzt sowieso nicht mehr. Ja, er hat mich verprügelt. Mehr will ich dazu nicht sagen. Und am nächsten Tag hat er sich entschuldigt, aber gleichzeitig hat er gesagt, dass er mich nach Porto Alegre schicken wolle und dass es besser für mich sei. Ich war schon mehrmals dort gewesen und wusste sofort, dass es stimmte. Vom ersten Tag an fühlte ich mich wie ein Erwachsener. Ich machte meinen Fachabschluss. Nach eineinhalb Jahren eröffnete ich eine Druckerei in Azenha. Ich schrieb Werbetexte für Stoßdämpfer, Kekse und Immobilien und verdiente gutes Geld. Du wusstest nicht, dass das Leben so schön sein kann .
Er lacht.
Milch macht’ s. Von da an ging’s bergab.
Okay. Aber Großvater wurde umgebracht.
Richtig. Von jetzt an wird die Geschichte etwas undurchsichtig, und vieles davon weiß ich nur aus zweiter Hand. Ich bin nicht sicher, was passiert ist, vielleicht ist auch gar nichts Besonderes passiert, aber ungefähr ein Jahr nachdem ich nach Porto Alegre gegangen war, zog dein Großvater weg. Ich erfuhr erst davon, als er mich anrief. Es war ein Auslandsgespräch.
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