Flut
antwortet, das sei okay. Außerdem schreibt Sara in einer Privatmail an ihn, sie müssten sich einigen, wie viel er für das Training haben wolle, die anderen hätten sich schon mehrmals erkundigt. Er antwortet, das könnten sie demnächst persönlich besprechen. Andere Mails sind schon von letzter Woche oder älter. Beileidsschreiben von Bekannten, die erst jetzt vom Tod seines Vaters erfahren haben, Einladungen zu Triathlon-, Lauf- und Schwimmwettbewerben von Leuten, die nicht wissen, dass er nach Garopaba gezogen ist. Ihm fällt ein, dass Dália sich am Abend zuvor darüber beschwert hat, er würde nicht auf ihre Facebook-Nachrichten antworten. Zum ersten Mal seit drei Monaten loggt er sich ein. Er hat den Eindruck, dass sich das Layout geändert hat, er hat zig Freundschaftsanfragen, und auf seinem Profilbild ist er rasiert. Er sieht sich die Anfragen an, nimmt die von Dália Jakobczinksi, Débora Busatto, wahrscheinlich die Empfangsdame vom Fitnessstudio, und Breno Wolff, einem befreundeten Schwimmer, an. Er erkennt sie an ihren Namen. Danach sucht er auf den Pinnwänden der anderen, ihm unbekannten Gesichter nach Spuren. Er sieht sich ein neues Video von Coldplay an, das von einem blonden Mädchen gepostet wurde, an dessen Namen er sich nicht erinnern kann. YouTube schlägt ein paar weitere Clips vor, die er sich ebenfalls anschaut. Ein lachendes Baby, eine neue Band namens Little Joy, eine wirklich beeindruckende Zusammenstellung der besten Aktionen im Profi-Tennis von 2007. Fast alle Kabinen sind von Leuten besetzt, die mit krummem Rücken und riesigen Kopfhörern auf einen Bildschirm starren. Schräg gegenüber führt ein bebrillter Ausländer via Skype ein nervöses Gespräch, er brüllt auf Englisch ein paar Sätze in sein Headset und hört dann lange zu, hält dabei das Mikrofon zwischen Zeigefinger und Daumen und klebt mit dem Gesicht förmlich an einem dunklen Bildschirm voller Icons. Die Verbindung ist langsam, und plötzlich merkt er, dass er seit mehr als einer halben Stunde Videos guckt.Er geht nochmal auf Facebook und liest seine Nachrichten. Vier sind von Dália. 4 Er scrollt in der Liste runter und findet eine Nachricht, die er vor zwei Wochen von Viviane bekommen hat. Er nimmt die Hand von der Maus und blickt auf den Bildschirm. Dann erst klickt er auf das Fenster und fängt an zu lesen. 5 Während er noch überlegt, ob er antworten soll oder nicht, stellt er erschrocken fest, dass er eine ganze Weile die Luft angehalten hat. Mit einem Griff nach der Maus und ein paar schnellen Klicks durchstöbert er seine Kontoeinstellungen und löscht sein Profil, unbeeindruckt von der emotionalen Erpressung einer automatischen Meldung, die ihn darauf hinweist, dass seine Freunde ihn vermissen werden.
Es regnet in Strömen an diesem Montagmorgen, und seine Laufschüler schicken SMS, um ihm abzusagen. Er legt sich wieder ins Bett und schläft noch ein bisschen. Als er aufwacht, liegt Beta neben ihm auf der Matratze, und er schubst sie behutsam weg. Sein Vater hat sie weder ins Bett noch aufsSofa gelassen, und eigentlich ist es seltsam, dass sie jetzt damit anfängt. Schließlich lässt er sie doch liegen und streichelt ihr den Rücken. Dann schläft er wieder ein und wacht erst kurz vor zwölf auf. Er läuft durch den Regen zum Supermarkt und kauft fünfhundert Gramm Leber, brät sie in der Pfanne und isst sie mit einem Rest Nudeln mit Tomatensoße. Eine Scheibe gibt er Beta, die es kaum fassen kann, etwas anderes als Hundefutter zu bekommen. Dann macht er sich für die Arbeit fertig. Als er aufbrechen will, bellt die Hündin dreiMal ohne erkennbaren Grund und sieht ihn erwartungsvoll an. Willst du raus? Oder willst du hierbleiben?, fragt er. Kurz bevor er die Tür schließt, entscheidet sie sich mitzukommen und läuft hinter seinem Fahrrad her. Es überrascht ihn jedes Mal, wie viel Energie sie für ihr Alter aufbringt. Sie bleibt etwas zurück, holt ihn aber immer wieder ein und legt sich zwischendurch kurz auf den Boden, wenn sie die Möglichkeit hat. Manchmal verschwindet sie für Minuten oder auch für Stunden, ist dann aber in der Nähe der Wohnung, wenn er nach Hause kommt.
Einigen seiner Schüler ist das Wasser offenbar tatsächlich zu kalt. Der Rastafari und der Rheumatologe sind über den ersten Monat nicht hinausgekommen. Andere bleiben standhaft. Tiago hat sichtlich abgenommen, beherrscht die Rollwende und kann auf fünfzig und auf hundert Metern sein Tempo halten. Die Zwillinge werden immer
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