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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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Sie wissen nicht, was Sie eigentlich wollen. Deswegen können
     Sie auch keine fundierte Analyse Ihrer Stärken und Schwächen vornehmen. Vielleicht sollten Sie sich zunächst klar werden,
     ob Sie wirklich Lehrer werden wollen. Das ist mir schon bei den Unterrichtsbesuchen aufgefallen. Ich habe den Eindruck, Sie
     distanzieren sich von Ihrer eigenen Rolle als Lehrer. Durch Ihr ganzes Auftreten machen Sie deutlich, dass Sie |156| nicht hinter dem stehen, was Sie tun. Sie sind in Ihrer Rolle nicht glaubwürdig.»
    Leider konnte ich Herrn Schubert nicht völlig widersprechen. Dabei wusste er nicht einmal, dass ich anfangs immer auf die
     Schülertoilette gegangen war, um nicht für einen Lehrer gehalten zu werden. Oder wie ich regelmäßig mit meinem Musikgeschmack
     hausieren gegangen war, damit meine Klassen merkten, dass ich mich mit Hip-Hop besser auskannte als meine älteren Kollegen,
     weswegen ich Bushido auch als Kinderrapper gedisst und den Jugendlichen CDs von Oli Banjo gebrannt hatte. Er ahnte obendrein
     nicht, wie oft ich die Schüler gebeten hatte, mein Alter zu schätzen, weil es mir schmeichelte, wenn sie mich für Anfang zwanzig
     hielten. Oder wie gut meine Lerngruppen über meine kriselnde Beziehung zu Melanie im Bild waren. Ich hatte den Jugendlichen
     für außerschulische Begegnungen sogar das Du angeboten, vor ihnen wiederholt Witze über Kollegen gerissen und die Jungen und
     Mädchen dazu ermuntert, für die anderen Fächer nichts zu tun, damit sie begriffen, dass ich einer von ihnen war. Und einmal
     hatte ich Schüler aus der Dreizehnten zu einer Party von mir eingeladen. Zu der war allerdings niemand erschienen.
    Von all diesen Dingen konnte Herr Schubert einfach nichts erfahren haben. Außerdem, und das war die Hauptsache, hatte ich
     einige dieser Marotten längst abgelegt, nachdem ich zu spüren bekommen hatte, wie mein Buhlen um zu viel Nähe von den Jugendlichen
     langfristig damit bestraft wurde, dass sie meine Lehrerautorität verstärkt infrage stellten. Mittlerweile bemühte ich mich,
     mir meine Schülerphilie nur noch abgemildert anmerken zu lassen.
    «Aber ich trete doch schon viel glaubwürdiger als Lehrer auf als zu Beginn.»
    «An dem, wie ich Sie im Unterricht erlebt habe und auch hier im Seminar, ist mir das leider noch nicht aufgefallen.» In seiner |157| Stimme lag kein Vorwurf. Vielmehr klang es wie ein unumstößliches Urteil. Nüchtern, kühl, emotionslos. Wie das fahle Gesicht,
     in das ich mich immer wieder zwang zu blicken, um mir von meiner Anspannung möglichst wenig anmerken zu lassen.
    Was sollte ich auf diese Bemerkung erwidern? Ich konnte Herrn Schubert wohl kaum erläutern, dass ich nicht mehr auf die Schülertoilette
     ging und vor den zu Erziehenden keine Kollegen mehr verspottete.
    Um das Gespräch schnell hinter mich zu bringen, willigte ich schließlich ohne zu protestieren ein, was mir Herr Schubert nahelegte:
     So sollte mein Hauptziel für das zweite Ausbildungsjahr darin bestehen, an meiner Lehrerpersönlichkeit im Unterricht und meiner
     Arbeitshaltung im Seminar zu arbeiten. Meine vielen anderen Defizite wurden zunächst zurückgestellt. Herr Schubert hatte die
     Zielvereinbarung schon ausformuliert vor sich auf dem Tisch liegen. Dennoch sollte ich sie – offiziell wohl, um mir die Ziele
     besser zu merken – ebenfalls aufschreiben. Aber nur einmal. Nicht wie ein böser Schüler hundertmal.
    Lehrerzimmer, Montag, Freistunde
    Ich: Schubert hat mir gesagt, ich hab ’ne zu große Distanz zu meiner Lehrerrolle. Ich frag mich, wie der das einschätzen kann.
    André: Wahrscheinlich hat er jemerkt, dass du deine Schüler magst und sie dich. Ich hab mir auch so was in der Art anhören müssen.
     Bei mir hat er jemeint, ich solle mir die Tattoos entfernen lassen, weil man mich sonst als Lehrer nicht ernst nimmt. Wenn
     mich eena nich ernst nimmt, dann nur er.

|158| 25
Shopping in Istanbul
    «Tell me, what did you do in your holidays?»
Diese Aufforderung richtete sich nicht an mich, sondern an Alpay Dagdemir, der sich von Frau Baum in Englisch nachprüfen lassen
     musste. Eine ziemlich leichte Aufgabe, deren Bewältigung ich mir auch zugetraut hätte, obwohl ich seit dem Abitur kein Englisch
     mehr gehabt hatte. Aber ich sollte bei dieser Nachprüfung nur Protokoll führen: ihren Beginn eintragen, ihren Schluss, die
     besprochenen Inhalte stichpunktartig festhalten und ein paar Beobachtungen zur Qualität der erbrachten Schülerleistung notieren.
     Am

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