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Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
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mal was zu chronischen Krankheiten. Und hab gleich mit Neurodermitis anjefangen. Und
     dit Mädchen is dann total ausgerastet. Finden Sie dis psychologisch betrachtet denn so unmöglich von mir? Das muss man doch
     ansprechen dürfen. Finden Sie doch auch, oder?» Durch seine kleine runde Nickelbrille blickte mich Herr Rauter in einer Eindringlichkeit
     an, die mir unmissverständlich klarmachte, dass er sich von mir die Absolution für seinen Umgang mit der Schülerin erhoffte.
    «Was ist denn genau passiert?»
    «Erst hab ick gesagt, dass ich was zu chronischen Krankheiten mache. Dass immer mehr Jugendliche davon betroffen sind. Das
     wissen Se wahrscheinlich selber. Und dann habe ick gesagt, dass wir heute über Neurodermitis sprechen   …» Die Zeit verrann. Bald würde es klingeln, und ich hatte noch nicht einmal mein Material für die Klasse sortiert. «Dass
     man sich dauernd kratzen muss bei dieser Krankheit, dass die Haut schuppt, gerötet ist und Ekzeme bildet. Ich meine, is doch
     wichtig, die Schüler aufzuklären. Finden Sie doch auch?»
    «Ja», pflichtete ich ihm ungeduldig bei. «Und das hat das Mädchen bereits gegen Sie aufgebracht?»
    «Nee! Nee! Das noch nicht. Also, ich hab mir gedacht, dit is doch am besten, wenn Anna, so heißt das Mädchen, selber von ihrer
     Neurodermitis berichtet. Finden Sie doch auch, oder?»
    «Tja. Ich weiß nicht   … Also   …» Herr Rauter zappelte unruhig von einem Bein auf das andere. «…   kommt drauf an. Nicht unbedingt   … Wenn   …»
    Er fiel mir ins Wort: «Aber Anna kennt sich doch viel besser mit dieser Krankheit aus als ich. Ick meine, dit is doch viel
     glaubwürdiger, wenn die dit erzählt.» Es war fast so, als springe er mit |166| jedem Satzende ein bisschen in die Luft, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen.
    «Möglich. Aber sie sollte das schon selber entscheiden dürfen. Fragen müssen Sie schon vorher. Haben Sie das denn?»
    «Natürlich! Was denken Sie denn?», entrüstete er sich. «Gleich nachdem ich das Thema angekündigt habe, hab ick Anna jefragt,
     ob sie ihren Mitschülern als Betroffene denn was darüber erzählen möchte. Um mit dem Vorurteil aufzuräumen, Neurodermitis
     kommt davon, dass man sich nicht wäscht.»
    Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte.
    «Vor der ganzen Klasse?»
    «Ja, wieso? Ich meine, ich hab das doch auch für sie jemacht. Die ist ja in der Klasse total ausgegrenzt. Das hat bestimmt
     ooch was mit ihrer Neurodermitis zu tun. Wenn die davon berichtet, hab ick mir jedacht, merken die andern, dass dit eigentlich
     nichts ist, wofür man was kann. Dann ist die auch wieder besser akzeptiert. Aba die hat ja nischt jesagt. Janich reagiert!
     Überhaupt nicht!» Herr Rauters Stimme überschlug sich fast.
    «Ich dachte, sie sei ausgerastet.»
    «Na, nicht sofort. Zuerst hat se nur auf stur jemacht.»
    Was ich verstehen konnte. Obwohl in einer Minute die Stunde beginnen würde, wollte ich nun mehr wissen.
    «Und warum ist sie denn nun ausgerastet?»
    «Was weiß ich! Wissen Sie, ich wollte der für ihren Erfahrungsbericht sogar eine Note geben. Die beteiligt sich ja sonst nie
     am Unterricht.»
    «Also, was haben Sie gemacht, als Anna nicht reagierte?»
    «Na, ick hab versucht, sie ein bisschen zu provozieren. Hab gefragt, ob Neurodermitis davon kommt, dass man sich nicht wäscht.
     Und sie gefragt, ob sie sich nicht oft wäscht.»
    «Was?!» Herr Rauter war im Kopf sicherlich nicht mehr der Fitteste. Aber so wenig Taktgefühl hätte ich ihm nicht zugetraut.
    |167| «Ja, Mensch! Wissen Sie, ick biete der die Möglichkeit zu einer guten Mitarbeitsnote. Und zu einer besseren Stellung in der
     Klasse. Und die nimmt dit nich an!»
    «Trotzdem, Herr Rauter!» Ich sprach nun lauter und mit mehr Nachdruck. Er zuckte leicht zusammen. «Das können Sie doch nicht
     machen! Gerade bei Schülerinnen in der Pubertät. Da steht sowieso die Hälfte kurz davor, sich umzubringen, sobald man eine
     falsche Bemerkung macht. Ein solches Problem müssen Sie erst einmal unter vier Augen klären. Und provozieren ist überhaupt
     nicht angebracht. Gerade in solch einer intimen Angelegenheit.» Ich wusste das, da ich selbst wiederholt mit erheblichen atmosphärischen
     Kollateralschäden Schüler herausgefordert hatte, deren Sinn für Ironie dabei deutlich überschätzend. «Bei so einer Bemerkung
     hat die Klasse doch bestimmt gelacht.»
    «Das fand ich ja ooch unmöglich von denen.»
    «Und dann hat Anna

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