Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Föhn mich nicht zu

Föhn mich nicht zu

Titel: Föhn mich nicht zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Serin
Vom Netzwerk:
Sie mochte die Leistung richtig eingeschätzt haben. Dennoch war es ungerecht, denn es klammerte den Beitrag der Lehrerin zum
     Ausgang der Prüfung völlig aus. Treffender wäre es gewesen, wenn sie |162| mir diktiert hätte: «Der Schüler weist gravierende Lücken auf, die von der jetzigen Lehrerin aufgrund eigener Kompetenzdefizite
     nicht behoben werden können.»
    Ziemlich kühl war auch die Bekanntgabe des Ergebnisses, nachdem ich ihn wieder hereingeholt hatte: «Alpay, du hast nicht bestanden,
     du musst die neunte Klasse wiederholen. Ich habe kein Mitleid mit dir. Ich denke, dir ist klar, warum: Du hast dich das Jahr
     über nicht angestrengt und folgerichtig schlechte Leistungen erbracht. Die Prüfung hat deine Defizite noch einmal deutlich
     gemacht. Du kannst nicht richtig schreiben, und sprechen auch nur, wenn du es vorher auswendig gelernt hast. Wenn du spontan
     reden sollst, machst du so viele Fehler, dass man dich einfach nicht versteht. Du hast in Englisch eine Ehrenrunde bitter
     nötig.»
    «Was allerdings an Frau Baum liegt, die offensichtlich nicht in der Lage war, dir richtiges Englisch beizubringen», ergänzte
     ich. Frau Baums harte Worte gingen mir entschieden gegen den Strich. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, mich mit dem sichtlich
     niedergeschlagenen Alpay zu solidarisieren. Allerdings machte ich meine Bemerkung auf Englisch, damit mich Frau Baum nicht
     hörte. Außerdem sprach ich nur ganz leise in seine Richtung. Doch ich glaube, Alpay hat mich tatsächlich verstanden. Zumindest
     hatte ich den Eindruck, dass er trotz des Prüfungsausgangs lächelte.
    |163| Zu Hause, Sonnabend, 19.55   Uhr
    Melanie: Wer war das denn?
    Ich: Frau Reiz. Die Fachbereichsleiterin für Französisch an unserer Schule. Blöde Kuh!
    Melanie: Schreit die immer so am Telefon?
    Ich: Hatte zum Glück vorher noch nicht das Vergnügen.
    Melanie: Warum hat se denn angerufen?
    Ich: Weil ich, als sie gestern zu mir meinte, ich müsse die Klausurnote eines Schülers von Fünf plus auf Fünf minus herabsetzen,
     sie daran erinnerte, dass ich als unterrichtender Lehrer über die Notenhoheit verfüge.
    Melanie: Und?
    Ich: Sie meinte, sie sei sehr aufgewühlt wegen meiner Bemerkung. Musste den ganzen Tag und die ganze letzte Nacht daran denken.
     Sie sagte, ich könne natürlich darauf bestehen, dass ich die Notenhoheit habe, aber dann möchte sie sich noch mal mit mir
     zusammensetzen und mit Herrn Stern. Die hat ’nen totalen Kontrollzwang! Echt ’nen Schaden!
    Melanie: Und? Wat machste?
    Ich: Ich werd die Note eben herabsetzen. Ick hab keine Lust, mir jetzt auch noch von dieser blöden Kuh das Leben zur Hölle machen
     zu lassen. Mir reichen die Seminarleiter. Ich gebe dem Schüler einfach mündlich einen Punkt mehr. Auf dem Zeugnis hat er insgesamt
     dann die gleiche Note.

|164| 26
Neurodermitis: Zur Strafe kratzen
    «Herr Serin, ham Se mal ’ne Minute?»
    Eigentlich hatte ich keine, denn in fünf Minuten begann meine nächste Stunde. Und ich durfte keine Unterrichtszeit verschenken,
     da meine Prüfung kurz bevorstand. Sie war in anderthalb Monaten. Allerdings hatte Herr Rauter auch immer ein offenes Ohr für
     mich gehabt. Er hatte mit mir oft über die inkompetente Schulleitung gelästert. Und er hatte mich als einer der wenigen Lehrer
     gern in seinen Klassen hospitieren lassen, ohne sich in meiner Gegenwart zu verstellen. Vermutlich wollte er mich wegen meiner
     Geschichtsklasse sprechen, die er nach meinem Abgang von der Schule übernehmen würde. Seitdem er davon erfahren hatte, war
     er häufiger zu mir gekommen, um sich darüber zu informieren, was ich gerade mit den Schülern durchnahm und welche Methoden
     ich einsetzte. Und um sich meiner Hilfe zu versichern: «Ick hab ja überhaupt keine Ahnung mehr, wie man Geschichte unterrichtet.
     Das hab ich ja schon zehn Jahre nicht mehr gemacht. Immer nur Bio. Vielleicht können wir uns, kurz bevor Sie gehen, noch mal
     zusammensetzen. Damit Se mir noch so ein paar Sachen erklären.» Sein sympathisches Eingeständnis und seine Bitte konnte ich
     mittlerweile mitsprechen. Doch diesmal war er deutlich aufgeregter als üblich. Sein dürrer Körper schien regelrecht geladen.
    «Herr Serin, Sie komm’ doch grade von der Uni. Da ham Se doch auch Psychologie jehabt, oder?»
    «Ein bisschen.»
    |165| «Ick hab in meiner Neunten ein Mädchen mit Neurodermitis. Hab ick von der Klassenlehrerin erfahren, Frau Reich. Und da hab
     ich mir jedacht: Mach ick im Unterricht

Weitere Kostenlose Bücher