FOOD CRASH
bin – gefragt, die Förderung von Esskultur zu einem zentralen Anliegen zu machen. Man sollte nicht unterschätzen, welche Veränderungskraft das eigene Erleben und das Vorbild entfalten können. So entscheidende Fehlentwicklungen wie das massenhafte Wegwerfen genusstauglicher Lebensmittel oder der viel zu hohe Fleischverzehr können damit angegangen werden. Da die »westlichen« Konsummuster nahezu überall in der Welt in hohem Ansehen stehen und nachgeahmt werden, kann die Umkehrung solcher Trends bei uns in Europa eine Wirkung weit über die Grenzen unseres Kontinents hinaus haben.
Was ist ein sozial gerechter Preis fürs Essen?
Ich habe in diesem Kapitel viele Worte darauf verwendet, darzustellen, weshalb es erforderlich ist, die Kosten der Produktion, die heute der Allgemeinheit angelastet werden, in den Preis der Produkte einzurechnen – die Kosten also zu internalisieren. Ich habe Beispiele benannt, an denen erkennbar wird, welche Steuerungswirkung auf die Art der Produktion sich dadurch ergibt. Mit der Art des Konsums, unserer Lebens- und Ernährungsstile ist das nicht anders.
Im November 2010 wurde die »Auswertung der Daten der Nationalen Verzehrsstudie II«, eine Gemeinschaftsarbeit von Wissenschaftlern der Uni Göttingen und des Max-Rubner-Institutes, veröffentlicht. [143] Durch sie wird statistisch abgesichert, was man ohnehin vermutet hätte: Biokunden ernähren sich und leben gesünder als andere Menschen, und sie wissen mehr über Ernährung. Unter anderem ist ihr Fleischkonsum deutlich geringer, wobei bei der Auswertung Vegetarier herausgerechnet wurden, um den Vergleich mit Konsumenten konventioneller Lebensmittel, wo Vegetarier viel seltener anzutreffen sind, nicht zu verfälschen. Ein Einkaufsverhalten, das die Folgen fürs größere Ganze bedenkt, ist dafür ein ebenso möglicher Grund wie die Sorge um einen gesunden Ernährungsstil. Aus der Erfahrung unseres eigenen Haushaltes aber weiß ich, dass es einen ganz banalen weiteren Grund gibt: Wenn ich beschließe, nur Biofleisch zu kaufen, dann kann ich mein Ernährungsbudget nur dann in vernünftigen Grenzen halten, wenn ich deutlich weniger Fleisch kaufe.
Und auch, wenn der Wegwerfskandal in den Industrieländern die Folge von Kulturverlust ist und (diesseits des Ladentisches) mit Hygienerecht zu tun hat, das nicht immer sinnvoll ist (um es vorsichtig auszudrücken): Selbst beim Wegwerfen wird man vorsichtiger, wenn der Wert der Lebensmittel hoch ist und ein Liter Salatöl nicht die Hälfte eines Liters Motoröl kostet.
Vielleicht gewinnt die Wolle als Rohstoff zur Kleiderherstellung wieder mehr Freunde, wenn die Baumwolle so teuer wird, wie die Summe aller (internen und externen) Herstellungskosten es erfordern würde. Weil das heute nicht der Fall ist, deckt für die Schäfer der Verkauf der Wolle knapp die Hälfte der Kosten des Scherers, und ein Schaf, das darauf gezüchtet würde, ohne nachwachsende Wolle zu existieren, wäre wahrscheinlich ein Verkaufsschlager. Ist es nicht unglaublich, dass wir all die herrliche Schafwolle nur minderwertig verwerten, während Millionen von Hektaren, auf denen auch Lebensmittel erzeugt werden könnten, der Produktion von Baumwolle gewidmet sind?
Fazit: Auch unsere Lebens- und Ernährungsstile werden wesentlich durch die Preise unserer Lebensmittel gelenkt und werden umso nachhaltiger, je mehr die Preise die tatsächlichen Kosten wiedergeben.
Nun ist mir in manchen Diskussionen vorgeworfen worden, es sei unsozial, nach Preisen zu rufen, die die Gemeinkosten mit abdecken. Denn Menschen am unteren Rand der Gesellschaft hätten heute schon genug Probleme, zurechtzukommen. Und außerdem sei es recht rücksichtslos, wenn einer wie ich, der über ein üppiges Einkommen verfügt, eine solche Forderung aufstellt.
Diesem Vorwurf kann ich zwar entgegenhalten, dass gerade sozial schwache Menschen – jedenfalls sehr viele von ihnen – keineswegs preisgünstig essen. Auch sie werfen vieles weg. Oft sind gerade sie es, die zu viel und zu häufig teure Süßigkeiten und ähnliche überflüssige Kalorienbomben essen. Überernährung ist gerade in sozial schwachen Schichten am weitesten verbreitet. Und viele von ihnen kaufen überproportional viel vorgefertigte Lebensmittel, bei denen der Energiegehalt der Verpackung den des Inhaltes übertrifft. Eine halbe Stunde Beobachtung an der Kasse eines Discounters reicht, um das zu bestätigen. Eine solche Begründung würde aber zu kurz greifen. Deshalb muss
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