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Forbidden

Forbidden

Titel: Forbidden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tabitha Suzuma
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nicht mehr da ist?
    Auf einmal muss ich mich am Spiegel festhalten, weil mir schwindlig wird. Das alles führt mich auf ein gefährliches Terrain, und ich weiß nicht, ob ich diese Gedanken weiterdenken möchte. Willa hat Lochan genauso sehr geliebt wie ich, aber sie versteckt ihren Schmerz nicht. Sie ist auch verletzt und traurig, aber sie sucht nach einem Weg, damit zurechtzukommen, obwohl sie erst fünf ist. Und sie denkt nicht nur an sich selbst und ihre Trauer, sondern sie denkt an Lochie. Sie überlegt, was sie für ihn tun kann. Und das ist das Mindeste, was auch ich für ihn tun kann, nämlich mir dieselbe Frage stellen: Wenn Lochie jetzt hier wäre, was würde er sich von mir wünschen?
    Aber natürlich weiß ich die Antwort bereits. Ich habe die Antwort die ganze Zeit gewusst. Ich habe es nur bis jetzt vermieden, mich ihr wirklich zu stellen … Ich sehe, wie sich die Augen des Mädchens im Spiegel mit Tränen füllen. Nein, Lochie, sage ich verzweifelt zu ihm. Nein! Bitte, bitte. Das kannst du nicht von mir verlangen, das kannst du nicht. Ich schaff das nicht ohne dich. Das ist zu schwer. Viel zu schwer. Es schmerzt so sehr! Dafür habe ich dich viel zu sehr geliebt!
    Kann man jemanden wie Lochie überhaupt zu sehr lieben? War unsere Liebe wirklich dazu bestimmt, so viel Unglück, Verzweiflung und Zerstörung hervorzurufen? War sie denn wirklich so falsch, unsere Liebe? Wenn ich noch lebe, bedeutet das nicht, dass in mir dann auch noch unsere Liebe lebendig bleibt? Bedeutet das nicht, dass ich immer noch die Chance habe, unser Leben zum Guten zu wenden, statt daraus eine nicht enden wollende Tragödie zu machen?
    Er hat sein Leben hingegeben, um meines zu retten, um das der Kinder zu retten. Das hat er gewollt, das war seine freie Entscheidung, das war der Preis, den er zu zahlen bereit war, damit ich weiterleben konnte, damit ich ein lebenswertes Leben führen konnte. Wenn ich jetzt auch sterbe, wird sein Opfer umsonst gewesen sein.
    Ich presse die Stirn gegen das kalte Glas des Spiegels. Ich schließe die Augen und fange an zu weinen, die Tränen laufen mir über die Wangen. Lochie, ich kann für dich ins Gefängnis gehen, ich kann für dich sterben. Aber was du von mir verlangst, das kann ich nicht für dich tun. Ich kann nicht für dich weiterleben.
    »Wir müssen jetzt los, Maya! Wir kommen sonst zu spät!«, ruft Kit von unten herauf. Sie warten alle auf mich. Sie warten darauf, von Lochie Abschied zu nehmen. Den ersten Schritt zu machen, um loszulassen. Wenn ich weiterleben will, muss ich auch anfangen loszulassen. Lochie loszulassen. Aber wie kann ich das jemals tun?
    Ich schaue mir noch einmal im Spiegel ins Gesicht. Ich schaue in die Augen, von denen Lochie immer gesagt hat, sie seien so blau wie das Meer. Vor wenigen Momenten erst dachte ich noch, er habe mich nie wirklich gekannt, wenn er auch nur eine Sekunde glauben konnte, ich könne ohne ihn überleben. Aber was, wenn ich diejenige bin, die unrecht hat? Lochie ist gestorben, um uns zu retten, unsere Familie zu retten, mich zu retten. Er hätte es nicht getan, wenn er nur einen Moment daran gezweifelt hätte, dass ich stark genug bin, um das alles ohne ihn zu bewältigen. Vielleicht, nur vielleicht, hat er ja am Ende recht, und ich habe unrecht. Vielleicht kenne ich mich selbst nicht so gut, wie er mich gekannt hat.
    Ich gehe langsam an meinen Schreibtisch und ziehe die Schublade auf. Ich lasse meine Hand unter den Papierstapel gleiten und schließe die Finger um den Griff des Küchenmessers. Ich hole es heraus. Die Klinge glänzt in der Sonne. Ich schiebe es unter mein Jäckchen und gehe die Treppe hinunter. In der Küche öffne ich die Besteckschublade und verstaue es ganz weit hinten, außer Sicht. Dann schiebe ich die Schublade zu.
    Ein heftiger Schluchzer entfährt mir. Als ich das Handgelenk fest an den Mund presse, spüre ich an meinen Lippen das silberne Armband, Lochans Geschenk. Jetzt ist es an mir. Ich schließe die Augen, um meine Tränen zurückzuhalten, hole lang und tief Luft und flüstere dann: »Okay, ich will es versuchen. Das ist alles, was ich dir im Moment versprechen kann, Lochie. Aber ich will es versuchen.«
    Als wir aus dem Haus gehen, reden alle aufgeregt durcheinander. Willa hat ihr Schmetterlingshaarspängchen verloren. Tiffin beklagt sich, dass die Krawatte ihm den Hals zuschnürt. Kit beschwert sich, dass wir wegen Willa noch zu spät kommen werden … Wir marschieren im Gänsemarsch durch den winzigen

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