Forbidden
kann. Das geht einfach über meine Kräfte. Und ich weiß, dass Maya, die sturköpfige, leidenschaftliche Maya, die mich so sehr liebt, nicht von ihrer Aussage abrücken wird, es sei denn, ich schaffe es, irgendwie Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sie hat ihre Wahl getroffen. Wenn ich ihr nur begreiflich machen könnte, dass ich lieber ein Leben lang im Gefängnis verbringe, als sie denselben Demütigungen ausgesetzt zu wissen …
Ich darf nicht aufgeben. Das darf einfach nicht geschehen. Ich werde es nicht zulassen. Stunde um Stunde sitze ich auf dem Betonboden der Zelle, schlage immer wieder verzweifelt mit dem Hinterkopf gegen die Metalltür, um mein Gehirn zum Nachdenken zu zwingen. Aber mir fällt nichts ein, wie ich Maya dazu bringen könnte, ihre Aussage zurückzuziehen.
Mir wird allmählich klar, dass sie das niemals tun wird, sie wird mich niemals beschuldigen, sie vergewaltigt zu haben. Sie wird inzwischen wissen, dass sie mich damit für viele Jahre ins Gefängnis bringt. Wenn ich durchs Fenster geflohen wäre, wie sie es mir vorgeschlagen hat, und wenn es mir wie durch ein Wunder gelungen wäre, tatsächlich zu entkommen, dann hätte sie bedenkenlos gelogen, das weiß ich, um bei den Kleinen bleiben zu können. Aber jetzt, wo ich hier in einer Gefängniszelle eingesperrt bin, wo der Rest meines Lebens davon abhängt, ob sie mich beschuldigt oder selbst ein Schuldgeständnis ablegt, wird sie niemals von ihrer Aussage abrücken. Sie wird nie aufgeben. Das weiß ich auf einmal mit unumstößlicher Gewissheit. Dafür liebt sie mich viel zu sehr. Sie liebt mich viel zu sehr. Wie sehr habe ich mir diese Liebe gewünscht, ihre ganze Liebe. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen … und jetzt bezahlen wir beide den Preis dafür. Wie dumm es doch von mir gewesen war, das von ihr zu wollen. Wie hatte ich bloß von ihr verlangen können, meine Freiheit für ihre eigene zu opfern! Das begreife ich jetzt. Mein Glück bedeutet ihr alles, so wie mir ihres. Wäre die Situation umgekehrt, würde ich es da über mich bringen, Maya zu bezichtigen, um selbst einer Strafe zu entgehen? Würde ich daran überhaupt nur denken?
Aber es nagt an mir. Mein Schuldgefühl wird immer größer. Wenn ich davongelaufen wäre, als noch Zeit war, wenn sie mich nicht verhaftet hätten, hätte Maya ihre Aussage nicht gemacht. Nichts wäre damit gewonnen gewesen, wenn sie die Wahrheit erzählt hätte, es hätte den Kleinen nur geschadet. Sie hätte die Aussage nie gemacht, wenn ich mich nicht hätte festnehmen lassen …
Mein Blick wandert langsam die Wand hoch bis zu dem kleinen Fenster unter der Decke. Und plötzlich weiß ich die Antwort. Ich habe sie direkt vor Augen. Wenn ich will, dass Maya ihre Aussage zurückzieht, dann darf ich nicht hier in einer Zelle sitzen, um abzuwarten, welche Gefängnisstrafe über mich verhängt werden wird. Ich darf nicht hier sein. Ich muss von hier fliehen.
Die Fäden herauszuziehen, mit denen das Laken auf die Matratze genäht ist, erweist sich als äußerst mühselig. Meine Hände werden davon ganz steif und meine Finger gefühllos und taub. Ich passe genau auf, wie viel Zeit zwischen den Wachrundgängen verstreicht, zähle leise mit, während ich verbissen die Nähte auftrenne. Wer auch immer diese Zelle entworfen hat, er hat etwas davon verstanden. Das kleine Fenster liegt so hoch, dass man eine drei Meter hohe Leiter bräuchte, um es zu erreichen. Davor sind natürlich Stäbe angebracht, aber ihre Enden ragen oben etwasheraus. Mit einem gezielten Wurf müsste ich eine Schlinge darüberwerfen können. Die aneinandergeknoteten Streifen dürften dann weit genug herabhängen, um das Ende gut zu erreichen und daran hochzuklettern. Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich es zum Fenster hoch, dem kleinen Fleck, durch den das Sonnenlicht hereinfällt. Dort beginnt für mich die Freiheit. Es ist ein verrückter Plan, ich weiß. Ein verzweifelter Plan. Aber ich bin verzweifelt. Ich habe keine andere Wahl. Ich muss gehen. Ich muss von hier verschwinden.
Die Stäbe vor dem Fenster wirken schon etwas angerostet und auch nicht übermäßig stabil. Solange sie nur halten, bis ich das Fenster erreicht habe, könnte mein Plan gelingen.
Ich zähle bis sechshundertdreiundzwanzig, seit das letzte Mal Schritte vor meiner Zellentür zu hören waren. Sobald ich fertig bin, habe ich ungefähr zehn Minuten Zeit. Ich habe schon von Leuten gelesen, die das geschafft haben. So was kommt nicht nur in Fernsehserien vor. Es ist
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