Forbidden
Jahre Gefängnis.«
Ich starre ihn an. Sprachlos. Ungläubig. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.
Der Kommissar seufzt und wirkt plötzlich erschöpft. »Wenn Ihre Schwester ihre Aussage nicht zurückzieht, muss sie auch mit einer Verhaftung rechnen.«
Warum? Maya, meine Liebste? Warum, warum, warum?
Ich liege auf dem Betonboden meiner Zelle, den Rücken halb gegen die Metalltür gelehnt, und starre blicklos auf die gegenüberliegende Wand. Mein ganzer Körper schmerzt, ich muss bereits Stunden vollkommen reglos so daliegen. Ich habe nicht mehr die Kraft, um weiter mit dem Hinterkopf gegen die Tür zu schlagen, in Raserei und Verzweiflung, damit mein Gehirn sich einen Wegeinfallen lässt, wie ich Maya dazu bringen kann, ihre Aussage zurückzuziehen. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschrien, ich habe die Wärter angefleht, mich zu Hause anrufen zu lassen, bis mir die Stimme völlig versagt hat. Aber Maya und ich werden nie mehr miteinander Kontakt haben dürfen – jedenfalls so lange nicht, bis ich meine Haftstrafe abgesessen habe, und die kann laut dem Kommissar über zehn Jahre betragen.
Alles in mir bricht auseinander und löst sich in Nebel auf, ich kann kaum mehr richtig denken. Denn das habe ich verstanden: dass Maya, wenn sie ihre Aussage nicht zurückzieht, genauso festgenommen werden wird wie ich, vielleicht sogar in Gegenwart von Tiffin und Willa. Und wenn dann keiner mehr da ist, um sich um die beiden und Kit zu kümmern, wenn keiner mehr da ist, um die Sauferei unserer Mutter zu vertuschen, die Verwahrlosung ihrer Kinder, dann werden sie bestimmt vom Jugendamt auseinandergerissen. Maya werden sie wie mich auf die Polizeistation bringen, sie wird denselben Demütigungen ausgeliefert sein wie ich, sie werden sie genauso verhören wie mich, und sie wird genau wie ich eines Sexualverbrechens angeklagt werden. Selbst wenn mein Wort gegen ihres steht, werde ich kaum etwas für sie tun können. Im Gegenteil. Wenn ich weiter darauf beharre, der Vergewaltiger zu sein, werden sie sich schnell fragen, warum mir plötzlich so viel daran liegt, Maya unbedingt zu entlasten – wo ich sie doch vorher angeblich monatelang sexuell missbraucht und ihr mit dem Tod gedroht habe, falls sie mir nicht gefügig ist. Ich werde total in die Enge getrieben sein, ohnmächtig, unfähig, sie zu beschützen, denn je mehr ich darauf beharren würde, dass Maya unschuldig ist und ich allein schuldig bin, desto wahrscheinlicher würde es, dass sie eher Mayas Geständnis glauben. Es wird nichtlange dauern, bis sie herausfinden, dass ich alle Schuld auf mich nehme, um sie zu schützen, dass ich lüge, weil ich sie liebe, und dass ich niemals, niemals in der Lage wäre, sie zu bedrohen, sexuell zu missbrauchen oder körperlich zu verletzen. Und dann ist da auch noch Kit – der einzige wirkliche Zeuge. Selbst Tiffin und Willa, wenn man sie befragen würde, würden erzählen, dass Maya mich immer angelächelt hat, mit mir gelacht hat, meine Hand gestreichelt hat, mich umarmt hat. Sie würden heftig den Kopf schütteln, wenn jemand sie fragte, ob Maya vor mir Angst gehabt hätte. Und so werden sie schließlich wissen, dass Maya genauso in dieses Verbrechen verstrickt ist wie ich.
Alles, was ich jetzt noch versuche, ist zum Scheitern verurteilt. Ich werde Maya nicht mehr als mein Opfer hinstellen können, weil sie die Wahrheit sagen wird. Und die wird überzeugender klingen als meine Lüge. Es wird Maya nicht schwerfallen, meine Ohrfeige, nach der ihr die Lippe blutete, als das zu schildern, was sie war: mein verzweifelter Versuch, unser Zusammensein nach einer Vergewaltigung aussehen zu lassen.
Maya wird vor Gericht kommen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt werden. Sie wird ihr Leben als Erwachsene hinter Gittern beginnen, nicht nur von mir, sondern auch von Kit, Tiffin und Willa getrennt, die sie doch alle so sehr lieben. Und auch wenn sie ihre Strafe verbüßt hat, heißt das noch lange nicht, dass sie danach frei und glücklich sein wird. Sie wird für den Rest ihres Lebens vorbestraft sein. Sie wird davon für immer gezeichnet sein. Wahrscheinlich wird ihr wegen ihres Verbrechens der Kontakt zu ihren Geschwistern verboten, sie wird ganz allein auf der Welt sein, ihre Freundinnen werden nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Und ich werde viel länger als sie eingesperrt bleiben. MeinStrafmaß wird viel höher sein, weil ich die Tat als Erwachsener begangen habe. All diese Gedanken sind mehr, als ich ertragen
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