Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)

richtigen Leuten gehört …“
    „Sollten wir nicht mal weitergehen?“, regte James
vorsichtig an.
    „Aber ich war gern hier“, fuhr Inglewing fort, während
sie die Treppen hinunterliefen. „Ich hatte ein paar sehr gute Lehrer. Leider
ist Daundelyon inzwischen tot und Ibn Firnas wieder in den Süden zurückgegangen
– kann man ihm nicht verdenken. Wo sie ihn hier als Treibser beschimpft haben …
zu meiner Zeit war schon fast die ganze Schülerschaft in irgendwelchen
Nordträumer-Clubs aktiv. Da, siehst du die Fahne da oben?“
    Zwischen Wein- und Efeuranken schlappte dort ein großes
Rechteck aus Stoff aus einem Fenster – blauer Grund mit drei weißen Berggipfeln
oder so was darauf. Ob das nun die Schulfahne, die Flagge des FC Rhondaport
oder die der Nordträumer war, war James im Moment herzlich egal. Er folgte
Inglewing über den Innenhof und wich einem Schwarm erstaunlich junger Studenten
aus – keiner älter als fünfzehn, sechzehn, alle männlich, alle in der
Schuluniform, die er selbst kopierte, und mit diesem lächerlichen Zopf, den er
ja nun mal nicht kopieren konnte – ein paar von denen grinsten ihn auch dreist
an. Dem, was sie ihm nachriefen, konnte er entnehmen, dass das Fehlen des
Zopfes in ihren Augen auf das Fehlen anderer Körperteile schließen ließ.
    „Da oben hab ich drei Jahre gewohnt.“ Inglewing ließ
sich in seinem Erinnerungstrip nicht stören. „Und wenn’s mir hier bis zum Hals
stand, dann konnte ich Gabriel in der Unterstadt besuchen, zumindest vom
zweiten Jahr an. Damals machte er die Wäscherei in Rhondaport auf. Die Gurs
waren schon in Halmyre so was wie meine Ersatzfamilie.“
    „Aber die Wahrheit hast du ihm vorhin trotzdem nicht
gesagt – über uns.“
    „Ja – und dafür gibt es ein paar gute Gründe. So, hier
geht’s rein, Bibliothek und Professorenzimmer.“
    Im Gebäude war es nach dem langen Weg auf der
sonnendurchglühten Straße angenehm kühl. Im ganzen Haus herrschte gelehrsame
Stille. Sie stiegen knarzende Holztreppen bis zum dritten Stock hinauf, ohne
jemandem zu begegnen, und kamen oben auf einen überdachten Außengang, von dem
aus man auf die Brücke und die hügelige Stadt dahinter blickte.
    „Da wären wir. Larkishs Arbeitsräume. Ich wette, sein
derzeitiges Prunkstück wird uns öffnen. Ein echter Jäger vom Stamm der
Shashkelash. Larkish hat ihn von seinem letzten Aufenthalt im Norden
mitgebracht und führt ihn gern in den Salons der Oberstadt vor.“
    Die Tür wurde geöffnet, gerade als Inglewing die Hand
zum Anklopfen hob. Ein großer, schlanker Mann in khakifarbener Kleidung –
Safari-Kleidung, demnach wohl der besagte Jäger – wollte mit schnellen
Schritten hinausgehen, hielt aber kurz inne, als er die beiden Besucher sah. „Inglewing
–“, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
    „Autrejaune –“, erwiderte Inglewing, ohne die Kiefer
voneinander zu lösen.
    Der Jäger entschwand Richtung Treppenhaus, und der Weg
ins Zimmer war frei. Das Nachmittagslicht flutete durch geöffnete Fenster und
fiel auf einen Mann, der in der Mitte des Raumes an einem Stehpult arbeitete,
und auf einen zweiten, der am Fenster gestanden hatte, jetzt aber auf sie
zukam.
    „Dorian – endlich! Ich fing gerade an, mir Sorgen zu machen!
Ah, Sie haben einen Gast mitgebracht – wie interessant! Aber gehen wir doch in
mein Skriptorium, damit wir Nuomi hier nicht stören. Er sieht gerade einige
meiner Transkriptionen durch … leider muss ja immer die wissenschaftliche
Arbeit als Erstes darunter leiden, wenn man so viele andere Verpflichtungen
hat. Rowland haben Sie ja noch gesehen … es gab eine Menge zu besprechen.“ Er
öffnete die Tür zum Nebenzimmer und ging ihnen voran.
    Ein Blick in dieses Zimmer genügte, und James wusste,
dass er hier vergeblich nach moderner Elektronik Ausschau halten würde.
Eigentlich hatte er es schon beim ersten Blick auf diesen Professor gewusst.
Sie nahmen um ein niedriges Tischchen herum Platz, James und Dorian auf einer
mit dunklem Leder bezogenen Sitzbank, während Larkish einen gleichartigen
Sessel ihnen gegenüber wählte. Der Mann wirkte selbstbewusst und energisch und
setzte seine Vorzüge eindeutig gern in Szene – schlanke Gestalt, aufrechte
Haltung, sorgfältig gekleidet mit dem blütenweißen Hemd samt modisch zweilagigen
Spitzenmanschetten, einer aprikosenfarbenen Seidenweste, aus deren Brusttasche
die zarten goldenen Glieder einer Uhrkette fielen, kastanienbraunen Hosen und
glänzenden, farblich passenden