Forlorner (Salkurning Teil 1) (German Edition)
diesem Gespräch nicht schleunigst eine andere
Richtung gab, dann würde es im Fluss enden. „Hör mal, ich erzähl dir alles über
Flugzeuge – aber bring uns erst mal lebendig über die Brücke, ja?“
„Njaa – dann später! Stimmt schon, ich hätte gar nicht
davon anfangen sollen. Als müsste ich gerade nicht schon über genug anderes
nachdenken!“
Auf dem mittleren Abschnitt der Brücke gab es so etwas
wie einen Aussichtspunkt. Da standen viele Leute an den Mauern und sahen auf
den Fluss hinaus, manche sogar mit Ferngläsern. Unter ihnen waren Männer in
Anzügen, die alles in allem nicht viel anders aussahen als das, was man in der
Mittagspause in der City zu sehen bekam – die Jacketts waren ein bisschen
länger, die Hosen ein bisschen enger, und die Zopfträger waren in der Überzahl.
Aber auch hier fehlten die Handys an den Ohren und die Laptoptaschen über den
Schultern. Die Frauen, die bei ihnen standen, trugen riesige, weiße Strohhüte
oder Sonnenschirme und lange Kleider aus feinen, hellen Stoffen.
„Ganz schöner Unterschied zu den Treibsern, was?“,
bemerkte Inglewing säuerlich und bremste den Wagen. „Ja, das sind Valdannen aus
der Oberstadt. Aber eine Menge dieser vornehmen Leute da lassen ihre Kleider
bei Gabriel Gur machen. Und er verdient nicht schlecht an ihnen. Kannst du das
Meer sehen?“
James kniff die Augen zusammen und sah über das
glitzernde Band des Flusses hin, das sich in gerader Linie durch die grüne
Ebene entrollte, bis es mit dem gleißenden Streifen in der Ferne verschmolz.
Für einen Moment glaubte er, vor diesem Gleißen den schwarzen Umriss eines
Segelschiffs zu erkennen, dann musste er wegsehen.
„Hast du es gesehen?“
„Ist das dieses Schiff, von dem ihr vorhin gesprochen
habt?“
„Das muss sie sein. Die Kallisti . Deshalb
stehen die auch alle hier und gaffen. Für einige von denen dürfte eine Menge
Geld in der Kallisti stecken.“ Er beschattete die Augen mit der Hand und
sah über die edel betuchten Rücken an der Mauer hinweg. „Die liegt wirklich
weit draußen. Frag mich, was die damit vorhaben.“
Wie heißt dieses Meer?, wollte James fragen, aber er
ließ es. Inglewing würde natürlich eine Antwort haben, aber noch mehr fremde
Bezeichnungen halfen ihm auch nicht weiter. Irgendwann musste sich dieser ganze
Irrsinn aufklären. Wenn nicht, war es immer noch früh genug, sich mit einer
neuen Geographie vertraut zu machen.
Als sie aus dem weichen, graublauen Schatten des
nächsten Häuserblocks herauskamen, machte Inglewing ihn auf eine kleine
Ansammlung von Wagen aufmerksam, die ein gutes Stück flussabwärts drüben auf
den Wiesen standen. Ringsherum grasten ein paar Ponys.
„Das sind die Peregrini. Sie dürfen nur für ihre
Vorstellungen in die Stadt, lagern müssen sie außerhalb der Mauern. Tja, so ist
Rhondaport!“
„Die Wagen sehen ja aus wie deiner! Ich dachte schon,
außer dem gäbe es hier gar keine Wagen.“
„ Einen anderen wie meinen gibt es noch – ich
hab ihn für Kharish von der Papiermühle gebaut. Die da drüben sehen nur so aus
wie meiner, aber sie werden von Ponys gezogen. Manche auch von Tretschleppern.“
James fragte nicht weiter. Ohnehin musste Inglewing
nun Brückenzoll bezahlen. Von der Brücke in die Oberstadt eingelassen zu
werden, kostete ihn eine ganze Kelverne – eine von den silbernen Münzen. Um die
Brücke herum ersetzte eine Zeile aus heruntergekommenen Läden, Kneipen und
Unterkünften die Stadtmauer, aber nachdem sie die hinter sich gelassen hatten,
fuhren sie an Parks und Gärten mit großen Villen darin vorbei, dann durch
Alleen, die von vier-, fünfstöckigen Häuserblocks aus rotbraunen Ziegeln
gesäumt waren, mit steilen, hohen Dächern und vielen Schornsteinen. Sie
schmiegten sich an die Hügel, auf denen Feigenbäume und Wein wuchsen. Auf der
Straße zwischen den Häusern roch es nach steinerner Kellerkühle, die sich unter
der Sommersonne widerwillig erwärmt hat, nach Staub und sonnenmüdem Laub und
Pferdeäpfeln, nach schlechter Kanalisation und fruchtbarer Erde. Noch andere
Wagen, Fuhrwerke und Reiter waren auf der gepflasterten Straße unterwegs, aber
zu James’ Enttäuschung umfuhr Inglewing das Geschäftsviertel im Stadtkern, um
dem dichteren Verkehr dort zu entgehen und Zeit zu sparen. Auf dem höchsten
Hügel ragte der Säulenvorbau eines großen, herrschaftlichen Hauses auf, und
Inglewing erklärte mit einer gewissen Ehrfurcht, dass dies der Präfektenpalast
war, in dem er am Abend
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