Formbar. Begabt
der Englischarbeit gelungen, sodass durchaus die Chance auf Erfolg besteht.
Welchen Befehl kann ich allen Formern im selben Augenblick geben, ohne mich völlig zu verausgaben?
»Lasst Hannah flüchten!« ist eindeutig zu riskant, denn ich kann das Ergebnis nicht überprüfen, ohne dabei meine Abriegelung zu offenbaren.
Gibt es eine Möglichkeit, das Team aus dem Haus zu schicken? Kann ich ihnen das Gefühl der Angst und den Impuls »Fliehe!« eingeben? Dann hätte ich Zeit, mich aus der Schussbahn zu bringen. Entsetzen samt Fluchtreflex hervorzurufen, dürfte keine allzu schwierige Aufgabe sein. Dabei handelt es sich um natürliche Gefühle, die in jedem Menschen schlummern.
Vorsichtig taste ich mich in die Köpfe der Former und setze einen leichten Impuls an. Während ich ununterbrochen Interesse für das Spiel simuliere, schaue ich scheinbar zufällig im Zimmer umher. In den Mienen der anderen kann ich bisher keine Anzeichen von Furcht erkennen. Nur der Blick des blonden Jungen zuckt kurz zur Tür. Dann strafft sich sein Körper merklich, er atmet tief durch und sieht wieder entspannt aus.
So ein Mist. Sie sind derartig auf meine Beeinflussung konzentriert, dass sie sich nicht manipulieren lassen. Resigniert sacke ich auf meinem Stuhl zusammen. Glücklicherweise wird parallel dazu eine meiner Figuren unsanft vom Spielbrett befördert, sodass sich keiner über die seltsame Reaktion wundert. Solange die Former auf mich fokussiert sind, habe ich keine Chance zu entkommen. Ich muss sie ablenken. Allen voran Jan. Seinen Befehl konnte ich zwar am leichtesten abblocken, jedoch ist er das stärkste Mitglied der Gruppe, möglicherweise sogar ihr Anführer.
Ich muss ihre Gedanken durcheinanderbringen und die Konzentration brechen. Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wie ich das bewerkstelligen könnte. Wenn etwas schief geht, ist alles aus. Ich habe nur einen Versuch. Jan wird keine Hemmungen haben, mich ein zweites Mal zu betäuben. Er ist derjenige, von dem mein Leben abhängt. Was auch immer ich tue, ich muss bei ihm ansetzen. Und es muss so radikal sein, dass die anderen Former nachhaltig verstört sind.
Bei meiner nächsten Figur, die vom Spielfeld geworfen wird, schreie ich in unechter Bestürzung auf und schüttle wild den Kopf. Während sich die anderen über meine Reaktion amüsieren, lasse ich den Blick nochmals durch die Küche schweifen. Der Raum kommt mir vage bekannt vor. Wir befinden uns nach wie vor in Jans Haus.
Und dann sehe ich die einzig mögliche Lösung klar vor Augen.
Jan, der mir ein Messer an die Kehle drückt. Ein Messer, das ich zuvor aus dieser Küche entwendet habe. Ich weiß genau, wie sehr er sich gegen meinen gedanklichen Befehl zur Wehr setzen kann.
Gar nicht.
Während ich meine Hand in den Nacken lege, um die vom Sitzen angeblich steifen Muskeln zu dehnen, drehe ich mich ein wenig nach rechts, sodass ich Jan aus den Augenwinkeln erahnen kann.
Ich muss es tun.
Noch hat keiner der Former bemerkt, dass sie mich nicht mehr unter Kontrolle haben. Das ist meine allerletzte Gelegenheit.
Trotzdem drohen mich die Zweifel zu überwältigen. Wenn ich das tue, bin ich nicht besser als er.
Alles, wovor sich Viv gefürchtet hat.
Alles, was ich selbst nie sein wollte.
Bleibt mir eine andere Wahl?
Sie wird sterben. Sie oder ich.
Er.
***
Durch das Opfer der natürlichen Former und die damit verbundene Verjüngung habe ich den letzten Schritt zur Unsterblichkeit getan.
Im Austausch gegen das Leben einer entbehrlichen Person kann ich mein eigenes bedeutsames Dasein verlängern und diesen Transfer beliebig oft wiederholen.
Ihre Kraft, um die meine wieder aufzuladen.
Ein Quell fortwährender Macht.
Wer könnte mich jetzt noch aufhalten?
30
Ausgelöscht
Das braunhaarige Mädchen mit der Brille erhebt sich ruckartig. Ihr hasserfüllter Blick ruht fest auf Jan. Sie holt tief Luft und spricht dann mit kalter, beherrschter Stimme.
»Du bist das absolut Letzte!«
Irritiert drehen sich die Mitspieler zu ihr um. Sie hält sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest und fixiert Jan ununterbrochen.
»Glaubst du ernsthaft, du kannst das mit mir abziehen?«
Er schüttelt den Kopf und dreht verständnislos die Handflächen nach oben.
»Du hast mich ausgenutzt und mit meinen Gefühlen gespielt. Du hältst mich also für albern, peinlich und minderbemittelt?«
Jan scheint die Tragweite der Situation nicht erfasst zu haben und zieht entnervt eine Augenbraue hoch. Als er antworten
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