Fortunas Tochter
verließ. Im übrigen war ihr Standpunkt: »Wenn Sie nach dem Preis fragen müssen, ist das hier nicht der richtige Ort für Sie.« Ein schwarzes Dienstmädchen in gestärkter Bluse öffnete ihm und führte ihn durch mehrere Räume, in denen schöne junge Mädchen in seidenen Kleidern umherschlenderten. Verglichen mit ihren weniger glücklichen Schwestern lebten sie wie die Prinzessinnen, aßen dreimal am Tag und badeten jeden Morgen. Das Haus, ein wahres Museum mit orientalischen Antiquitäten und technischen Spielereien der westlichen Welt, roch nach Tabak, schwerem Parfüm und Staub. Es war drei Uhr nachmittags, aber die dichten Vorhänge blieben geschlossen, in diese Zimmer drang nie ein frischer Windhauch. Ah Toy empfing ihn in einem kleinen, mit Möbeln und Vogelkäfigen vollgestopften Arbeitszimmer. Sie war kleiner, jünger und schöner, als er sich vorgestellt hatte. Sie war sorgfältig geschminkt, trug aber keinen Schmuck, war schlicht gekleidet und verzichtete auf die langen Nägel, dieses Kennzeichen für Reichtum und Müßiggang. Ihr Blick war hart und durchdringend, aber ihre Stimme war sanft und erinnerte ihn an Lin. Verflucht soll sie sein, stöhnte Tao Chi’en innerlich. Er untersuchte sie gelassen, ohne seine Abnei– gung und Erregung zu zeigen, ohne zu wissen, was er sagen sollte, denn ihr den Mädchenhandel vorzuwerfen wäre nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich gewesen und konnte die Aufmerksamkeit auf seine eigenen Aktivi– täten lenken. Er verschrieb ihr mahuang gegen das Asth– ma und andere Medikamente zum Kühlen der Leber und machte sie trocken darauf aufmerksam, solange sie einge– schlossen zwischen diesen Vorhängen lebte und Tabak und Opium rauchte, würden ihre Lungen weiterhin äch– zen. Die Versuchung, ihr das Gift dazulassen mit der An– weisung, täglich einen Teelöffel voll zu nehmen, streifte ihn wie ein Nachtfalter, und ihn schauderte, er war be– stürzt über diesen einen Augenblick der Unschlüssigkeit, denn bisher hatte er geglaubt, daß sein Zorn ihn nicht so weit bringen könnte, einen Menschen zu töten. Er ging rasch hinaus und war sicher, daß angesichts seiner rüden Manieren diese Frau ihn nicht wieder rufen würde.
»Und?« fragte Eliza, als er ins Sprechzimmer trat.
»Nichts.«
»Was heißt nichts! Hatte sie nicht vielleicht ein kleines bißchen Tuberkulose? Wird sie nicht sterben?«
»Wir werden alle sterben. Die wird alt werden. Sie ist stark wie ein Büffel.«
»So sind nun mal die gemeinen Menschen.«
Eliza wußte, daß sie vor einem entscheidenden Kreuz– weg stand; die Richtung, die sie wählte, würde über ihr weiteres Leben bestimmen. Tao Chi’en hatte recht, sie mußte sich eine Frist setzen. Sie konnte nicht länger über den Verdacht hinweggehen, sie sei in die Liebe verliebt gewesen und in die Wirrnis einer Leidenschaft aus dem Märchenbuch verwickelt worden, die der Wirklichkeit nicht standhalten konnte. Sie versuchte sich an die Gefühle zu erinnern, die sie getrieben hatten, sich zu diesem ungeheuerlichen Abenteuer einzuschiffen, aber es gelang ihr nicht. Die Frau, die sie geworden war, hatte nichts mehr gemein mit dem verrückten Mädchen von einst. Valparaíso und das Zimmer der Schränke gehörten einer anderen Zeit an, einer Welt, die im Nebel verschwand. Sie fragte sich tausendmal, warum sie sich so danach gesehnt hatte, mit Leib und Seele Joaquín Andieta zu gehören, wenn sie sich doch in seinen Armen nie ganz glücklich gefühlt hatte, und konnte es nur damit erklären, daß er ihre erste Liebe gewesen war. Sie war dafür bereit gewesen, als er jene Fracht im Sommersschen Haus ablieferte, der Rest war eine Sache des Instinkts. Sie hatte ganz simpel dem mächtigsten und ältesten Ruf gehorcht, aber das war vor einer Ewigkeit geschehen und siebentausend Meilen von hier entfernt.
Wer sie damals war und was sie in ihm gesehen hatte - sie konnte es nicht sagen, aber sie wußte, daß ihr Herz nicht mehr dieser Richtung folgte. Sie war es nicht nur müde geworden, ihn zu suchen, im Grunde wollte sie ihn lieber nicht finden, aber sie konnte sich auch nicht weiterhin von Zweifeln verstören lassen. Sie brauchte einen Abschluß dieser Lebensphase, um unbelastet eine neue Liebe zu beginnen.
Ende November ertrug sie die innere Spannung nicht mehr, und ohne Tao Chi’en ein Wort zu sagen, ging sie zu dem Zeitungshaus, um mit dem berühmten Jacob Freemont zu sprechen. Ein junger Mann führte sie in den Redaktionssaal, wo mehrere
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