Fortunas Tochter
Kontakt mit Ebanizer Hobbs in England, und in ihren Briefen beklagten beide die Entfernung, die sie trennte.
»Kommen Sie nach London, Doktor Chi’en, und veran– stalten Sie eine Akupunkturdemonstration in der Royal Medical Society, die würden mit offenem Mund dasitzen, das versichere ich Ihnen«, schrieb Hobbs. Er sagte auch, wenn sie ihrer beider Kenntnisse zusammentäten, würden sie Tote erwecken können.
Ein ungewöhnliches Paar
Die Winterfröste brachten mehreren Sing Song Girls den Tod durch Lungenentzündung, und Tao Chi’en gelang es nicht, sie zu retten. Zweimal war er gerufen worden, als sie noch lebten, und er konnte sie mitnehmen, aber sie starben wenige Stunden später im Fieberdelirium in seinen Armen. Inzwischen streckten sich die unauffälligen Fühler seines Mitleids kreuz und quer durch Nordamerika aus, von San Francisco bis New York, bis zum Rio Grande, bis Kanada, aber ein so riesiger Aufwand war nur ein Salzkorn im Ozean des Elends. Seine Arztpraxis lief gut, und was er sparen konnte oder der Mildtätigkeit einiger reicher Patienten verdankte, half ihm, auf den Versteigerungen die jüngsten Mädchen zu kaufen. In dieser Unterwelt kannten sie ihn bereits: er galt als abartig. Sie hatten nicht eines der Kinder, die er »für Experimente« mitnahm, lebend wiedergesehen, aber keinen kümmerte es, was hinterher mit ihnen geschah. Unter den zhong yi war er der beste, und solange er keinen Anstoß erregte und sich auf diese Geschöpfe beschränkte, die ohnedies nicht viel höher als Tiere standen, ließ man ihn in Frieden. Wenn jemand neugierig fragte, erklärte sein treuer Gehilfe, daß die außerordentlichen Kenntnisse seines Meisters, die für seine Patienten so hilfreich seien, aus seinen geheimnisvollen Experimenten herrührten.
Tao Chi’en war inzwischen in ein ordentliches Haus an der Grenze von Chinatown gezogen, wenige Häuserblocks vom Union Place entfernt. Darin war seine Praxis, dort verkaufte er seine Mittel und versteckte auch die Mäd– chen, bis sie auf die Reise gehen konnten. Eliza hatte ein paar Brocken Chinesisch gelernt, um sich auf einer wenn auch niedrigen Stufe mitteilen zu können, das übrige improvisierte sie mit Pantomime, Zeichnung und ein paar Worten Englisch. Es war die Mühe wert, dies war besser, als für den taubstummen Bruder des zhong yi gehalten zu werden. Sie konnte chinesisch weder schreiben noch lesen, aber sie erkannte die Medikamente am Geruch, und zur größeren Sicherheit markierte sie die Flaschen mit einem Code ihrer eigenen Erfindung. Immer wartete eine gute Anzahl Patienten auf die goldenen Nadeln, die Wunderkräuter und die tröstlichen Worte des Arztes. Mehr als einer fragte sich, wie dieser weise, freundliche Mann derselbe sein konnte, der Kadaver und kindliche Konku– binen sammelte, aber da keiner genau wußte, welcher Art seine Laster waren, respektierte ihn die Gemeinde. Gewiß, er hatte keine Freunde, aber auch keine Feinde. Sein guter Ruf drang über die Grenzen von Chinatown hinaus, und einige amerikanische Ärzte konsultierten ihn hin und wieder, wenn ihre eigenen Kenntnisse sich als nutzlos erwiesen; natürlich kamen sie so heimlich wie nur möglich, denn sie hätten eine öffentliche Demütigung auf sich gezogen, wenn sie zugegeben hätten, ein »Sohn des Himmels« könnte sie etwas lehren. So geschah es, daß er gewisse bedeutende Persönlichkeiten der Stadt behandelte und die berühmte Ah Toy kennenlernte.
Sie ließ ihn rufen, als sie erfuhr, daß er der Frau eines Richters geholfen hatte. Sie litt an einem rasselnden Geräusch in der Lunge und häufigen Erstickungsanfällen.
Tao Chi’ens erster Impuls verlangte, sich zu weigern, aber dann besiegte ihn die Neugier, sie von nahem zu sehen und für sich selbst die Legende zu überprüfen, die sie umgab. In seinen Augen war sie eine Viper, seine persönliche Feindin. Eliza, die wußte, was Ah Toy für ihn bedeutete, steckte ihm ein Fläschchen Arsen in die Arzttasche, das ausgereicht hätte, ein Gespann Ochsen ins Jenseits zu befördern.
»Für den Fall, daß…«, erklärte sie.
»Für den Fall, daß was?«
»Stell dir vor, daß sie vielleicht sehr krank ist. Du wirst doch nicht wollen, daß sie leiden muß, oder? Manchmal muß man beim Sterben etwas nachhelfen…«
Tao Chi’en lachte erheitert, ließ aber das Fläschchen in der Tasche. Ah Toy erwartete ihn in einem ihrer Luxus »Pensionate«, in denen der Kunde tausend Dollar pro Sitzung zahlte, sie aber immer zufrieden
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