Fortunas Tochter
In den Vereinigten Staaten sind die freien Männer vor dem Gesetz gleich. Es gelten keine Klassenschranken mehr.«
»Wir sprechen von Frauen, nicht von Männern. Zudem sind die Vereinigten Staaten ein Land von Händlern und Pionieren, ohne Tradition und ohne Geschichtssinn.
Gleichheit gibt es nirgendwo, nicht einmal unter den Tieren, und schon gar nicht in Chile.«
»Wir sind Fremde, Jeremy, wir können das Spanische gerade mal radebrechen. Was gehen uns die sozialen Klassen Chiles an? Wir werden in diesem Land nie dazugehören.«
»Wir müssen ein gutes Beispiel geben. Wenn wir Briten unfähig sind, unser eigenes Haus in Ordnung zu halten, was kann man da von den anderen erwarten?«
»Eliza ist in dieser Familie aufgewachsen. Ich glaube nicht, daß Miss Rose einwilligen wird, sie fortzuschicken, nur weil sie wächst.«
So war es denn auch. Rose trotzte ihrem Bruder mit dem gesamten Repertoire ihrer Unpäßlichkeiten. Zuerst kamen Koliken und dann eine alarmierende Migräne, die sie über Nacht blind machte. Mehrere Tage ruhte alle Geschäftigkeit im Haus: die Vorhänge wurden zugezogen, alles ging auf Zehenspitzen und flüsterte nur noch.
Es wurde nicht mehr gekocht, weil der Essensgeruch alles noch schlimmer machte. Jeremy aß im Club und kehrte mit dem verlegenen, schüchternen Gehaben eines Mannes heim, der ein Krankenhaus besucht. Roses ungewöhnliche Blindheit und ihre weiteren zahlreichen Beschwerden wie auch das eigensinnige Schweigen der Hausangestellten unterhöhlten seine Festigkeit. Zu allem Überfluß entpuppte sich Mama Fresia, die mysteriöser– weise von den privaten Streitgesprächen der Geschwister unterrichtet war, als fürchterliche Verbündete ihrer Brot– herrin. Jeremy Sommers betrachtete sich als aufgeklärten und pragmatischen Mann, gefeit gegen die Einschüch– terungsversuche einer abergläubischen Hexe wie Mama Fresia, aber als die India schwarze Kerzen anzündete und alle Räume mit Salbei ausräucherte unter dem Vorwand, die Stechmücken verscheuchen zu wollen, da schloß er sich verschreckt und wütend in der Bibliothek ein. In den Nächten hörte er sie mit nackten Füßen an seiner Tür vorbeipatschen und in halblautem Singsang Beschwörun– gen und Verwünschungen leiern.
Am dritten Tag fand er eine tote Eidechse in seiner Brandyflasche und beschloß grimmig, nun aber ein für allemal zu handeln. Er klopfte zum ersten Mal an die Tür zum Zimmer seiner Schwester und wurde eingelassen in das Heiligtum weiblicher Geheimnisse, das er sonst zu ignorieren vorzog, ebenso wie er das Nähstübchen, die Küche, die Waschküche, die düsteren Zellen des Dach– geschosses, wo die Dienstmädchen schliefen, und Mama Fresias Hütte hinten im Patio ignorierte; seine Welt waren die Salons, die Bibliothek mit den Regalen aus poliertem Mahagoni und seiner Sammlung von Stichen mit Jagdszenen, der Billardsaal mit dem prächtigen geschnitz– ten Tisch, sein eigenes, mit spartanischer Einfachheit eingerichtetes Zimmer und ein kleiner Raum mit italieni– schen Fliesen für seine Körperpflege, wo er eines Tages ein modernes Wasserklosett wie die in den Katalogen aus New York einzubauen gedachte, denn er hatte gelesen, daß die Nachttopfmethode und das Sammeln der mensch– lichen Exkremente in Eimern, um sie als Dünger zu verwenden, eine Quelle von Epidemien seien.
Während er wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, stieg ihm der Geruch nach Medikamenten und ein beharrlicher Vanilleduft verwir– rend in die Nase. Rose konnte er nur undeutlich sehen, sie lag, hohlwangig und leidend, ohne Kopfkissen ausge– streckt im Bett, die Arme über der Brust gekreuzt, als übte sie ihren eigenen Tod. Eliza stand neben ihr und drückte ein mit grünem Tee getränktes Tuch aus, um es ihr auf die Augen zu legen.
»Laß uns allein, Kind«, sagte Jeremy Sommers und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett.
Eliza machte eine kleine Verbeugung und ging, aber sie kannte alle Schwachstellen des Hauses gut genug, und das Ohr an die dünne Zwischenwand gepreßt, konnte sie die Unterhaltung deutlich verstehen, die sie später vor Mama Fresia wiederholte und in ihr Tagebuch eintrug.
»Also schön, Rose. Wir können nicht ewig im Krieg liegen. Einigen wir uns doch. Was möchtest du also?« fragte Jeremy, von Anfang an besiegt.
»Nichts, Jeremy«, seufzte sie mit kaum hörbarer Stimme.
»Sie werden Eliza niemals in Madame Colberts Schule aufnehmen. Dort kommen nur die Mädchen aus
Weitere Kostenlose Bücher