Fortunas Tochter
kindliche Aussehen bei, das ihr mehr als einmal das Leben rettete. So sehr war sie im tiefsten Innern ein Kind, daß sie in der Pubertät immer noch im selben Bettchen schlief, von ihren Puppen umgeben und am Daumen lutschend. Sie ahmte Jeremy Sommers’ überdrüssigen Gesichts– ausdruck nach, weil sie glaubte, das sei ein Zeichen innerer Stärke. Mit den Jahren wurde sie es müde, sich gelangweilt zu geben, aber die Übung war ihr nützlich, ihren quirligen Charakter zu beherrschen.
Sie beteiligte sich an den Aufgaben der Dienerschaft: einen Tag beim Brotbacken, einen andern beim Maismalen, einen Tag dabei, Bettzeug zu sonnen, den andern beim Kochen der Weißwäsche. Stundenlang kauerte sie hinter dem Vorhang des Empfangssaales und verschlang nacheinander die Werke von Fielding oder Walter Scott aus der Bibliothek von Jeremy Sommers, die empfindsamen Romane von Laurence Sterne oder Jane Austen aus Miss Roses Bücherschrank, veraltete Zeitungen und was sonst an Lesbarem in ihre Reichweite kam, mochte es auch noch so fade oder befremdlich sein. Sie brachte Jacob Todd dazu, ihr eine seiner spanischen Bibeln zu schenken, und mühte sich mit unendlicher Geduld, sie zu entziffern, denn ihr Schulunterricht war in Englisch erfolgt. Sie vertiefte sich in das Alte Testament, fast krankhaft fasziniert von den Lastern und Leiden– schaften der Könige, die fremde Ehefrauen verführten, von Propheten, die mit furchtbaren Strahlen züchtigten, und von Stammvätern, denen ihre Töchter heimlich beilagen. In einem Abstellraum, wo allerlei altes Gerüm– pel sich türmte, fand sie Landkarten, Fahrtenbücher und Navigationsdokumente ihres Onkels John, die ihr halfen, sich die Länder dieser Erde genauer vorzustellen.
Die Hauslehrer, die Miss Rose für sie angestellt hatte, unterrichteten sie in Französisch, Schreibkunst, Geschich– te, Geographie und ein wenig Latein, und das war erheblich mehr als das, was in den besten Mädchenschulen der Hauptstadt den Kindern beigebracht wurde und wo Gebete und gute Manieren das einzige waren, was letztlich dabei herauskam. Der regellos verschlungene Lesestoff ebenso wie die Geschichten von Kapitän Sommers beflügelten ihre Einbildungskraft. Dieser seefahrende Onkel erschien stets mit einer Ladung Geschenke und erregte ihre Phantasie mit unerhörten Geschichten von schwarzen Herrschern auf Thronen aus massivem Gold, von malaiischen Piraten, die Menschenaugen in Perl– mutterdöschen setzten, von Prinzessinnen, die zusammen mit ihren verstorbenen alten Männern auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Jedesmal, wenn er zu Besuch kam, wurde alles aufgeschoben, von den Schul– aufgaben bis zu den Klavierstunden. Das Jahr verging ihr damit, auf ihn zu warten, Stecknadeln in die Seekarte zu stecken und sich vorzustellen, auf welchen Meeresbreiten sein Schiff gerade segeln mochte. Eliza hatte wenig Berührung mit anderen Kindern ihres Alters, sie lebte in der abgeschlossenen Welt des Hauses ihrer Wohltäter, wo man sich in der ewigen Illusion wiegte, nicht hier, sondern in England zu sein. Jeremy Sommers bestellte alles über Katalog, von der Seife bis zu den Schuhen, und trug im Winter leichte Kleidung und im Sommer einen Mantel, denn er richtete sich nach dem Kalender der nördlichen Halbkugel. Die Kleine hörte und beobachtete aufmerksam, hatte ein fröhliches und unabhängiges Temperament, bat nie um Hilfe und besaß die seltene Gabe, sich nach Belieben unsichtbar zu machen, indem sie sich zwischen den Möbeln, den Vorhängen oder den Tapetenblumen verlor. An dem Tag, an dem sie beim Erwachen eine rötliche Flüssigkeit auf ihrem Nachthemd entdeckte, ging sie zu Miss Rose, um ihr mitzuteilen, daß sie unten blutete.
»Sprich mit niemandem darüber, das ist streng persönlich. Du bist jetzt eine Frau und mußt dich auch so benehmen, mit den Kindereien ist Schluß. Es ist Zeit, dich auf die Mädchenschule von Madame Colbert zu schicken«, das war die ganze Erklärung, die ihre Adoptiv– mutter ohne Atem zu holen und ohne sie anzusehen ihr gab, worauf sie zum Schrank ging und ihm ein Dutzend kleiner, von ihr selbst gesäumter Handtücher entnahm.
»Jetzt hast du die Plage, Kind, dein Körper wird sich verändern, deine Gedanken werden verschwimmen, und jeder Mann wird mit dir machen können, wozu er Lust hat«, warnte später Mama Fresia, der Eliza die Neuigkeit nicht verbergen konnte.
Die India kannte Pflanzen, die den Menstruationsfluß hemmen konnten, aber aus Angst vor ihrer
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