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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wie sehr sie sie alle liebte. Sie gestand, was sie an sich genommen hatte, um die Dienstboten vor Verdacht zu schützen. Mama Fresia hatte ihr noch ihre haltbarsten Stiefel in den Koffer gepackt, ebenso ihre Hefte und das Bündel Liebesbriefe von Joaquín. Außer– dem nahm sie eine schwere Decke aus spanischer Wolle mit, die Onkel John ihr geschenkt hatte. Sie verließen das Haus, ohne Argwohn zu erregen. Der Kutscher setzte sie in der Straße ab, in der die Familie del Valle lebte, wartete aber nicht, bis ihnen die Tür geöffnet wurde, sondern fuhr davon. Mama Fresia und Eliza machten sich auf zum Hafen, um sich mit Tao Chi’en zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort zu treffen.
    Der Chinese erwartete sie. Er nahm Mama Fresia den Koffer aus der Hand und bedeutete Eliza, ihm zu folgen. Das Mädchen und ihre Kinderfrau umarmten sich lange. Sie wußten mit Sicherheit, daß sie sich nie Wiedersehen würden, aber keine der beiden vergoß eine Träne.
    »Was wirst du Miss Rose sagen, Mamita?«
    »Nichts. Ich gehe auf der Stelle zu meinen Leuten im Süden, wo mich nie jemand finden wird.«
    »Danke, Mamita. Ich werde mich immer an dich erinnern…«
    »Und ich werde für dich beten, daß es dir wohl ergehen wird, meine Kleine«, war das letzte, was sie von Mama Fresia hörte, bevor sie hinter dem chinesischen Koch eine Fischerhütte betrat.
    In dem dunklen, fensterlosen Raum, der nach nassen Netzen roch und nur durch die Tür Luft bekam, reichte Tao Chi’en ihr eine Hose und einen sehr abgetragenen Kittel und bedeutete ihr, sie anzuziehen. Er machte keine Anstalten, anstandshalber hinauszugehen oder sich wenigstens umzudrehen. Eliza schwankte, sie hatte sich noch nie vor einem Mann außer Joaquín ausgezogen, aber Tao Chi’en bemerkte ihre Verwirrung gar nicht, der Körper und seine Funktionen waren für ihn etwas Natürliches, und Schamhaftigkeit betrachtete er eher als Hindernis denn als eine Tugend. Sie begriff, daß dies kein guter Augenblick für Skrupel war, das Schiff würde in Kürze auslaufen, und die letzten Boote brachten bereits das Gepäck der Nachzügler zum Schiff. Sie nahm ihr Strohhütchen ab, knöpfte ihre korduanledernen Stiefelchen und das Kleid auf, löste die Bänder des Unterrocks und bat den Chinesen, rot vor Scham, ihr beim Ablegen des Korsetts zu helfen. Während das Häufchen ihrer englischen Jungmädchenkleidung auf dem Fußboden wuchs, verlor sie nach und nach jede Verbindung zu der Wirklichkeit, wie sie sie kannte, und geriet unwiderruflich in die seltsame Eigenwelt, die in den folgenden Jahren ihr Leben sein würde. Sie hatte ganz deutlich das Empfinden, eine neue Geschichte zu beginnen, in der sie Haupt– darstellerin und Erzählerin zugleich war.

Vierter Sohn
    Tao Chi’en hatte nicht immer diesen Namen geführt. Tatsächlich hatte er bis zu seinem elften Lebensjahr überhaupt keinen Namen gehabt, seine Eltern waren zu arm, um sich mit derartigen Kleinigkeiten abzugeben: er hieß einfach Vierter Sohn. Er war neun Jahre früher als Eliza geboren in einem Dorf der Provinz Kuangtung anderthalb Tage Fußmarsch von der Stadt Kanton entfernt. Er stammte aus einer Familie von Heilern. Unzählige Generationen hindurch gaben die Männer seiner Familie vom Vater auf den Sohn ihr Wissen weiter: die Kenntnis von heilkräftigen Pflanzen, die Kunst, schlechte Säfte aus dem Körper abzuziehen, den Zauber, Dämonen zu vertrei– ben, und die Fähigkeit, die Energie, das Qi, zu regulieren. In dem Jahr, in dem Vierter Sohn geboren wurde, lebte seine Familie im tiefsten Elend, sie hatten nach und nach all ihr Land an Geldverleiher und Falschspieler verloren. Die Beamten des Kaiserreiches trieben Steuern ein, behielten das Geld für sich und erlegten dann neue Abgaben auf, um ihren Raub zu decken, außerdem bezogen sie Bestechungsgelder für dies und das. Die Familie des Vierten Sohnes konnte sie, wie die meisten Bauern, nicht bezahlen und mußte ein weiteres Stückchen Ackerland abgeben.
    Wenn sie ein paar Münzen von ihren mageren Ein– künften vor den Mandarinen retten konnten, verloren sie umgehend beim Spiel, einer der wenigen Zerstreuungen, die sich den Armen boten. Man konnte bei Kröten oder Heuschreckenrennen wetten, bei Kakerlakenkämpfen oder beim fan tan, dem Höhepunkt unter vielen anderen beliebten Spielen.
    Vierter Sohn war ein fröhliches Kind, das über alles und nichts lachen konnte, aber er besaß auch eine beachtliche Auffassungsgabe und unerschöpfliche Wißbegierde. Mit

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