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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sieben Jahren wußte er, daß die Begabung eines guten Heilers darin besteht, das Gleichgewicht zwischen dem Yin und dem Yang zu halten; mit neun kannte er die Eigenschaften der Pflanzen, die in der Gegend wuchsen, und konnte seinem Vater und den älteren Brüdern helfen bei der verwickelten Zubereitung der Pflaster, Salben, Toniken, Balsamen, Sirupe, Pulver und Pillen der bäuerlichen Arzneimittelkunde. Sein Vater und Erster Sohn wanderten von Dorf zu Dorf und boten Heilungen und Arzneien an, während Zweiter und Dritter Sohn ein kümmerliches Stück Land bearbeiteten, das einzige Kapital der Familie. Vierter Sohn hatte die Aufgabe, Pflanzen zu sammeln, und er tat es gern, denn es erlaubte ihm, ohne Aufsicht durch die Umgebung zu streifen, Spiele zu erfinden und die Stimmen der Vögel nach– zuahmen. Manchmal begleitete ihn seine Mutter, wenn sie nach den nie enden wollenden häuslichen Mühen noch die Kraft dazu fand. Die Familie hatte, immer tiefer verschul– det, mit knapper Not überlebt bis zu dem Unglücksjahr 1834, als die schlimmsten Dämonen sich auf sie stürzten. Als erstes kippte ein Topf voll heißem Wasser seinen Inhalt auf die jüngste, knapp zweijährige Tochter und verbrühte sie vom Kopf bis zu den Füßen. Sie strichen Eiweiß auf die Verbrennungen und behandelten sie mit den dafür geeigneten Kräutern, aber in weniger als drei Tagen war die Leidensfähigkeit des Kindes erschöpft, und es starb. Die Mutter erholte sich nicht von dem Schlag. Sie hatte schon andere Kinder früh verloren, und jeder Tod hinterließ eine Wunde in ihrem Herzen, aber der Unfall der Kleinen war wie der letzte Tropfen, der den Krug zum Überlaufen bringt.
    Sie begann zusehends zu verfallen, wurde täglich matter, die Haut färbte sich grünlich, die Beine trugen sie kaum mehr, und alle Tränke, die ihr Mann für sie bereitete, konnten die unerbittlich fortschreitende Krankheit nicht aufhalten, bis sie sie eines Morgens fanden, mit einem Lächeln der Erleichterung auf den Zügen und Augen voller Frieden, denn endlich würde sie sich mit ihren toten Kindern wieder vereinen. Die Trauerriten waren sehr einfach, da es sich um eine Frau handelte. Sie konnten keinen Mönch bezahlen und hatten auch keinen Reis, den sie den Verwandten und den Nachbarn während der Zeremonie hätten anbieten können, aber wenigstens vergewisserten sie sich, daß ihr Geist nicht in das Dach, den Brunnen oder die Rattenhöhlen geflohen war, woher er später kommen könnte, um sie heimzusuchen. Ohne die Mutter, die mit ihrer Kraft und ihrer Geduld die Familie zusammengehalten hatte, war dem Unheil nicht mehr zu wehren. Es war ein Jahr der Taifune, der Mißernten und der Hungersnot, weite Gebiete Chinas waren von Bettlern und von Banditen überzogen. Die letzte Tochter der Familie wurde mit sieben Jahren an einen Vermittler verkauft, und man hörte nie wieder von ihr. Erster Sohn, dazu bestimmt, den Vater in seinem Amt als Wanderheiler zu ersetzen, wurde von einem kranken Hund gebissen und starb wenig später, den Körper gespannt wie ein Bogen, während ihm Schaum aus dem Munde quoll. Zweiter und Dritter Sohn waren schon im arbeitsfähigen Alter, und ihnen fiel die Aufgabe zu, für den Vater im Leben zu sorgen und bei seinem Hinscheiden die Totenriten zu vollziehen und sein Andenken und das ihrer männlichen Ahnen durch fünf Generationen aufwärts zu ehren. Vierter Sohn war zu nichts besonders nütze, und da ohnedies nicht genug Nahrung da war, verkaufte ihn sein Vater als Diener für zehn Jahre an Händler, die mit ihrer Karawane in der Nähe des Dorfes gelagert hatten. Der Junge war elf Jahre alt.
    Es war ein Aufbruch in die Sklaverei, aber für den Jungen würde es eine Schule werden, wie er sie zu Hause nie hätte besuchen können. Zwei Maultiere zogen einen Karren, der mit der schwersten Fracht der Karawane beladen war. Ein ohrenbetäubendes Kreischen begleitete jede Umdrehung der Räder, die absichtlich nicht geschmiert wurden, um die Dämonen abzuschrecken.
    Damit Vierter Sohn, der untröstlich weinte, seit er von Vater und Brüdern getrennt worden war, nicht ausreißen konnte, wurde er mit einem Seil an eines der Tiere gebunden. Barfuß und durstig, den Beutel mit seiner spärlichen Habe auf dem Rücken, sah er die Dächer seines Dorfes und die gewohnte Umgebung verschwinden. Das Leben in jener Hütte war das einzige, das er kannte, und es war nicht schlecht gewesen, seine Eltern waren sanft mit ihm umgegangen, seine Mutter hatte ihm

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