Fortunas Tochter
Chi’en saß mit offenem Mund - eine Frau, die imstande war, derart bis zum Äußersten zu gehen, hatte er noch nie gesehen, nicht im wirklichen Leben, so etwas kannte er nur aus Romanen, wo die Heldinnen zum Schluß immer sterben.
»Mit dieser Kette können Sie sich eine Passage kaufen. Sie brauchen nicht im Versteck zu reisen«, sagte Tao Chi’en, der nicht daran dachte, sein Leben durchein– anderzubringen, indem er gegen das Gesetz verstieß.
»Kein Kapitän wird mich mitnehmen, ohne vorher meine Familie zu benachrichtigen.«
Tao Chi’ens anfängliche Verwunderung verwandelte sich in schieres Entsetzen: diese Frau hatte nichts weniger vor, als ihre Familie zu entehren, und hoffte, er werde ihr dabei helfen! Ihr war ein Dämon in den Leib gefahren, ohne jeden Zweifel. Eliza griff abermals in den Beutel, holte eine goldene, mit Türkisen besetzte Brosche heraus und legte sie dem Mann zu der Kette auf die Knie.
»Haben Sie jemals einen Menschen mehr geliebt als Ihr eigenes Leben, Mister?« fragte sie.
Tao Chi’en sah ihr zum erstenmal, seit sie sich kannten, in die Augen, und er muß wohl etwas darin gelesen haben, denn er nahm die Kette und versteckte sie unter seinem Hemd, die Brosche gab er ihr zurück. Er stand auf, rückte die Baumwollhose und das lange Messer in der Leibbinde zurecht und verneigte sich förmlich.
»Ich arbeite nicht mehr für Kapitän Sommers. Übermorgen läuft die Brigg ›Emilia‹ nach Kalifornien aus.
Kommen Sie morgen abend um zehn Uhr, und ich bringe Sie an Bord.«
»Und wie?«
»Das weiß ich noch nicht. Wir werden sehen.«
Tao Chi’en verneigte sich noch einmal höflich zum Abschied und ging so geheimnisvoll schnell davon, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Eliza und Mama Fresia eilten zur Tanzschule, wo sie den Kutscher gerade noch rechtzeitig antrafen, der seit einer halben Stunde auf sie wartete und sich mit häufigen Zügen aus seiner Flasche die Zeit vertrieb.
Die »Emilia« war ein Schiff französischer Herkunft, das einst schlank und flink gewesen war, aber sie hatte viele Meere durchpflügt und schon vor Ewigkeiten das Ungestüm der Jugend eingebüßt. Sie war narbenübersät, trug eine Last Mollusken inkrustiert an ihren Matronenhüften, ihre erschöpften Gelenke ächzten unter den Schlägen der Wellen, und ihr Segelwerk, fleckig und tausendmal ausgebessert, sah aus wie das Gespenst eines alten Unterrocks. Sie verließ Valparaíso am 18. Februar 1849, einem strahlend schönen Morgen, mit siebenundachtzig männlichen Passagieren, fünf Frauen, sechs Kühen, acht Schweinen, drei Katzen, achtzehn Matrosen, einem holländischen Kapitän, einem chilenischen Steuermann und einem chinesischen Koch an Bord.
Auch Eliza fuhr mit, aber der einzige Mensch, der davon wußte, war Tao Chi’en.
Die besseren Passagiere drängten sich in den Kabinen des Vorschiffs zusammen, aber sie hatten es doch wesentlich bequemer als die übrigen Reisenden, die in winzigkleinen Kajüten mit jeweils vier Kojen untergebracht waren oder einfach auf dem Boden der Decks lagerten, nachdem sie um den besten Platz für ihre Bündel gewürfelt hatten. Eine Kabine unter der Wasserlinie war den fünf Chileninnen zugewiesen worden, die in Kalifornien ihr Glück versuchen wollten. Im Hafen von Callao würden zwei Peruanerinnen zusteigen, die sich mit ihnen ohne große Umstände jeweils zu zweit eine Koje teilen würden. Kapitän Vincent Katz trichterte der Mannschaft wie den männlichen Reisenden ein, sie dürften nicht den geringsten Umgang mit den Damen haben, denn er war nicht bereit, unanständigen Verkehr auf seinem Schiff zu dulden, und in seinen Augen war es offensichtlich, daß diese Passagierinnen nicht zu den tugendhaftesten gehörten, aber natürlich wurden seine Befehle während der Fahrt ein übers andere Mal mißachtet. Die Männer verlangte es nach weiblicher Gesellschaft, und die Frauen, bescheidene Prostituierte, die sich ins Abenteuer stürzen wollten, hatten keinen Peso in der Tasche. Die Kühe und Schweine, in kleinen Gehegen auf dem zweiten Deck fest vertäut, mußten frische Milch und ab und an Fleisch für die Seefahrenden liefern, deren tägliche Nahrung hauptsächlich aus Bohnen, trockenem, schwarzem Schiffszwieback, gesalzenem Dörrfleisch und dem bestehen würde, was sie fischen konnten. Um solchem Mangel abzuhelfen, brachten die bessergestellten Passagiere ihren eigenen Proviant mit, vor allem Wein und Tabak, aber die meisten litten Hunger. Zwei der Katzen liefen frei
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