Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
laue Nacht. Der Ozean schimmerte wie Silber im Widerschein des Mondes, und eine leichte Brise blähte die Segel der »Emilia«. Viele Passagiere hatten sich zurückgezogen oder spielten Karten in den Kabinen, andere hatten ihre Hängematten aufgespannt, um die Nacht in dem Durcheinander von Gerätschaften, Pferde– sätteln und Kisten zu verbringen, mit denen die Decks vollgepackt waren, und einige unterhielten sich damit, im Heck den Delphinen zuzuschauen, die im schäumenden Kielwasser des Schiffes ihre Spiele trieben. Tao Chi’en hob die Augen zum Himmelsgewölbe und dankte. Zum erstenmal seit ihrem Tod hatte Lin ihn ohne Scheu besucht. Bevor sein Seemannsleben begann, hatte er sie bei verschiedenen Gelegenheiten gespürt, vor allem, wenn er sich in tiefe Meditation versenkte, aber damals war es leicht gewesen, die zarte Anwesenheit ihres Geistes als Sehnsucht des Witwers zu deuten.
    Lin war neben ihm gewesen, ihre feinen Finger hatten ihn gestreift, aber ihm blieb der Zweifel, ob sie es wirklich war oder nur eine Schöpfung seiner verstörten Seele. Soeben im Laderaum jedoch hatte er nicht gezweifelt: Lins Gesicht war ihm so strahlend und deutlich erschienen wie dieser Mond auf dem Meer. Er fühlte sich mit ihr verbunden und froh wie in den lange vergangenen Nächten, wenn sie zusammengerollt in seinen Armen schlief, nachdem sie sich geliebt hatten.
    Tao Chi’en wandte sich zum Schlafraum der Mann– schaft, wo er über eine schmale Holzkoje verfügte, weit entfernt von dem einzigen bißchen Luft, das durch die Tür strich und von dem üblen Geruch der Männer noch überlagert wurde. Es war Tao unmöglich, hier zu schlafen, aber das hatte er seit der Ausfahrt aus Valparaíso auch nicht tun müssen, denn der Sommer erlaubte, sich auf das nackte Deck zu packen. Er nahm seinen Schlüssel vom Hals, schloß den Koffer auf, der wegen des Schlingerns am Boden festgemacht war, und zog seine Arzttasche und eine Flasche Laudanum heraus. Dann ließ er heimlich eine doppelte Ration Süßwasser mitgehen und holte ein paar Tücher aus der Küche.
    Er wollte zurück in den Laderaum, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Zusammenschreckend wandte er sich um und sah eine der Chileninnen, die entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Kapitäns, die Frauen hätten sich nach Sonnenuntergang zurückzuziehen, auf Freier– suche ausgegangen war. Tao erkannte sie sofort. Von allen Frauen an Bord war Azucena Placeres die netteste und die keckste. In den ersten Tagen hatte sie als einzige den seekranken Passagieren beigestanden, und sie hatte sich auch fürsorglich um einen jungen Matrosen gekümmert, der vom Mast gefallen war und sich einen Arm gebrochen hatte. Damit hatte sie sich die Achtung selbst des strengen Kapitäns erworben, der seither ein Auge zudrückte vor ihrem Ungehorsam. Azucena leistete ihre Krankenpflege– dienste gratis, aber wer es wagte, eine Hand auf ihr festes Fleisch zu legen, mußte in klingender Münze bezahlen, denn man solle doch ein gutes Herz gefälligst nicht mit Dämlichkeit verwechseln, wie sie sagte. Dies ist mein Kapital, und wenn ich nicht acht drauf gebe, bin ich verratzt, erklärte sie und klatschte sich fröhlich auf die Hinterbacken. Azucena Placeres sagte zu Tao vier Wörter, die in jeder Sprache verständlich sind: Schokolade, Kaffee, Tabak, Brandy.
    Wie immer, wenn er ihr begegnete, machte sie ihm mit unzweideutigen Bewegungen ihren Wunsch klar, ihre Gunst gegen irgendeines dieser Luxusdinge zu tauschen, aber der zhong yi schob sie schroff beiseite und ging weiter.
    Ein gut Teil der Nacht verbrachte Tao Chi’en an der Seite der fiebernden Eliza. Er mühte sich um diesen erschöpften Körper mit den beschränkten Mitteln aus seiner Arzttasche, mit all seiner Erfahrung und seiner nur aus Zartgefühl weniger festen Hand, bis sie eine blutige Molluske ausstieß. Tao Chi’en untersuchte das Etwas im Schein seiner Laterne und konnte ohne jeden Zweifel feststellen, daß es sich um einen mehrere Wochen alten Fötus handelte und daß er vollständig war.
    Um ihren Leib innen gründlich zu reinigen, setzte er seine Nadeln in die Arme und Beine der jungen Frau, was starke Kontraktionen bewirkte. Als er des Erfolges sicher war, seufzte er erleichtert auf: jetzt mußte er nur noch Lin bitten, mitzuhelfen, daß keine Infektion hinzukam. Bislang war seine Beziehung zu Eliza rein geschäftlicher Natur gewesen, und auf dem Grund seines Koffers lag als Beweis ihre Perlenkette. Sie war nur ein unbekanntes

Weitere Kostenlose Bücher