Fortunas Tochter
über sechs Monaten übernommen, und er war nicht der Mann, sich einer eingegangenen Verpflichtung zu entziehen. In der Nacht davor hatte Eliza in einer Backofenhitze ihr Fieber bis zum letzten Tropfen ausgeschwitzt, hatte geträumt, sie klettere barfuß den gleißenden Abhang eines ausbrechenden Vulkans hinauf, und erwachte patschnaß, aber mit klarem Kopf und kühler Stirn. Alle Passagiere einschließlich der Frauen und ein gut Teil der Besatzung gingen für ein paar Stunden von Bord, um die Beine zu betätigen, im Fluß zu baden und sich mit frischem Obst vollzustopfen, aber Tao Chi’en blieb auf dem Schiff, denn er wollte Eliza beibringen, die Pfeife anzuzünden und zu rauchen, die er im Koffer mit sich führte. Er war sich nicht sicher, wie er das Mädchen weiter behandeln sollte, dies war einer der Fälle, bei denen er für den Rat seines weisen Meisters alles mögliche hingegeben hätte. Er begriff zwar, daß es richtig war, sie etwas ruhigzustellen, damit sie die Zeit in dem Gefängnis des Kielraums leichter hinter sich brächte, aber sie hatte viel Blut verloren, und er fürchtete, daß die Droge ihr das wenige, das ihr verblieben war, ausdünnen könnte. Er entschloß sich nur zögernd dazu, nachdem er Lin angefleht hatte, über Elizas Schlaf zu wachen.
»Opium. Es wird dir schlafen helfen, so wird die Zeit schneller vergehen.«
»Opium! Davon wird man verrückt!«
»Du bist sowieso verrückt, da hast du nicht viel zu verlieren«, sagte er lächelnd.
»Du willst mich umbringen, nicht wahr?«
»Aber sicher. Es ist mir nicht geglückt, als du am Verbluten warst, und jetzt mache ich es halt mit Opium.«
»Ach, Tao, ich habe Angst…«
»Viel Opium ist schlecht. Wenig ist ein Trost, und ich werde dir sehr wenig geben.«
Das junge Mädchen wußte nicht, wieviel viel oder wenig war. Tao Chi’en verabreichte ihr seine Aufgüsse aus gestoßenen Drachenfischgräten und Austernschalen und teilte ihr das Opium so ein, daß es ihr ein paar Stunden barmherziges Dahindämmern schenkte, ohne daß sie sich völlig in einem Paradies ohne Wiederkehr verlor. In den folgenden Wochen flog sie durch andere Weltenräume, weit fort von der jämmerlichen Höhle, in der ihr Körper lag, und erwachte nur, wenn sie herunterkamen, um ihr zu essen zu geben, sie zu waschen und sie zu zwingen, ein paar Schritte zu gehen. Sie spürte nicht die Plage der Läuse und Flöhe und auch nicht den übelkeiterregenden Gestank, den sie zu Anfang kaum hatte ertragen können, denn die Droge betäubte ihren hervorragenden Geruchs– sinn. Sie glitt regellos in ihre Träume hinein und wieder hinaus und konnte sich auch nicht an sie erinnern, aber Tao Chi’en hatte recht: die Zeit verging schnell. Azucena Placeres konnte nicht begreifen, weshalb Eliza unter diesen Bedingungen reiste.
Keine von ihnen hatte die Passage bezahlt; als sie sich einschifften, hatten sie mit dem frommen Kapitän die Abmachung getroffen, daß er den Betrag für die Fahrt gleich nach ihrem ersten Arbeitstag in San Francisco bekommen werde.
»Wenn die Gerüchte stimmen, kannst du dir an einem einzigen Tag fünfhundert Dollar in die Tasche stecken.
Die Goldgräber bezahlen in purem Gold! Die haben monatelang keine Frau mehr gesehen, die sind ausge– hungert. Sprich mit dem Kapitän und bezahl ihn, wenn wir ankommen«, drängte Azucena, sooft Eliza zu sich kam.
»Ich bin keine von euch«, erwiderte Eliza, vom süßen Nebel der Droge betäubt.
Endlich erreichte es Azucena, daß Eliza ihr in einem klaren Augenblick einen Teil ihrer Geschichte beichtete. Sofort eroberte der Gedanke, einer aus Liebe Flüchten– den zu helfen, Azucenas Einbildungskraft, und von nun an pflegte sie die Kranke mit der größten Hingabe. Sie hielt nicht nur die Abmachung ein, sie zu füttern und zu waschen, sie blieb auch bei ihr, nur weil sie Freude daran hatte, sie schlafen zu sehen. Wenn Eliza wach war, erzählte Azucena ihr aus ihrem eigenen Leben und lehrte sie, den Rosenkranz zu beten, was, wie sie sagte, die beste Art war, die Stunden ohne Grübeln zu verbringen und gleichzeitig ohne große Anstrengung den Himmel zu gewinnen. Für eine Frau wie sie, erklärte sie, sei das ein hervorragendes Hilfsmittel. Sie sparte eisern einen Teil ihrer Einnahmen, um Ablässe von der Kirche zu kaufen und so die Zeit zu verringern, die sie im anderen Leben im Purgatorium würde verbringen müssen, obwohl sie nach ihren Berechnungen nie ausreichen würden, um all ihre Sünden abzudecken. Wochen
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