Fortunas Tochter
können, würde er sie doch sicherlich mit der gleichen Methode hinausbekommen. Und war das Mädchen einmal auf festem Land, war er nicht mehr für sie verantwortlich. Bei dem Gedanken, sich endgültig von ihr zu trennen, empfand er neben riesiger Erleichterung ebensoviel unverständlichen Kummer.
Als nur noch wenige Seemeilen bis zu ihrem Bestimmungsort fehlten, hatte die »Emilia« zum erstenmal die Küste Nordkaliforniens in Sichtweite. Nach Azucena Placeres sah sie genauso aus wie die chilenische, bestimmt waren sie im Kreis gefahren wie die Langusten und kamen nun wieder nach Valparaíso. Tausende Robben sprangen vom Felsen und klatschten ins Wasser unter dem schrillen Geschrei von Möwen und Meerespelikanen. Nicht eine Menschenseele war zu sehen in dem felsigen Gelände, keine Spur einer Ansiedlung, kein Schatten der Indianer, die angeblich diese verzauberten Regionen seit Jahrhun– derten bewohnten.
Endlich erreichten sie die Klippen, die die Nähe des Goldenen Tors anzeigten, des berühmten Golden Gate, der Schwelle zur Bucht von San Francisco. Unversehens hüllte dichter Nebel das Schiff ein wie eine Decke, man sah keinen halben Meter weit voraus, und der Kapitän befahl, sofort zu stoppen und Anker zu werfen, um nicht an den Klippen zu zerschellen. Sie waren jetzt ihrem Ziel sehr nahe, und die Ungeduld der Passagiere nahm lärmende, fast aufrührerische Formen an. Alle redeten gleichzeitig, alle trafen Vorbereitungen, den Fuß auf das Festland zu setzen und augenblicklich zur Schatzsuche aufzubrechen. Die meisten Kompanien hatten sich in den letzten Tagen wieder aufgelöst, im Überdruß der langen Fahrt waren aus ehemaligen Partnern Feinde geworden, und jeder dachte nur noch an sich selbst, versunken in Vorstellungen von unermeßlichem Reichtum. Es fehlte auch nicht an Männern, die den Prostituierten jetzt Liebeserklärungen machten und den Kapitän bitten wollten, sie zu trauen, bevor sie von Bord gingen, weil sie gehört hatten, das, was wirklich knapp war in jener barbarischen Gegend, seien die Frauen. Eine der Peru– anerinnen nahm den Antrag eines Franzosen an, der so viel Zeit auf dem Meer zugebracht hatte, daß er seinen eigenen Namen nicht mehr wußte, aber Kapitän Vincent Katz lehnte es ab, sie zu verheiraten, als er erfuhr, daß der Mann eine Frau und vier Kinder in Avignon hatte. Die anderen Frauen wiesen die Bewerber rundweg ab, sie hatten diese beschwerliche Reise gemacht, um frei und reich zu sein, sagten sie, aber nicht, um als unbezahltes Dienstmädchen des erstbesten Hungerleiders zu enden, der ihnen die Ehe antrug.
Die Begeisterung der Passagiere ließ nach, je mehr Stunden in Unbeweglichkeit verrannen, je länger sie in der milchigen Unwirklichkeit dieses Nebels steckten. Am zweiten Tag endlich klarte der Himmel auf, sie konnten die Anker lichten und mit vollen Segeln die letzte Etappe dieser langen Reise erstürmen. Passagiere und Matrosen kamen an Deck, um die enge Einfahrt des Golden Gate zu bestaunen, noch sechs Meilen zu segeln, vom Aprilwind getrieben unter einem klaren Himmel. Zu beiden Seiten erhoben sich Felsen, schroff aufragend, von Wäldern gekrönt, zurück blieb der Pazifische Ozean, und voran erstreckte sich die silbern strahlende Bucht. Eine Salve von Ausrufen begrüßte das Ende der mühseligen Reise und den Beginn des Goldabenteuers für diese Männer und Frauen und genauso für die zwanzig Seeleute, die sich in ebendiesem Augenblick entschlossen, das Schiff zu verlassen und sich auch auf die Minen zu stürzen. Die einzigen, die gleichmütig blieben, waren der Kapitän Vincent Katz, der auf seinem Posten neben dem Ruder stand, ohne die mindeste Regung zu zeigen, denn das Gold berührte ihn nicht, er wollte nur rechtzeitig wieder in Amsterdam sein, um mit seiner Familie Weihnachten zu feiern, und Eliza Sommers im Bauch des Schiffes, die erst mehrere Stunden später erfuhr, daß sie angekommen waren.
Das erste, was Tao Chi’en bei der Einfahrt in die Bucht überraschte, war ein Wald von Masten zu seiner Rechten. Sie zu zählen war unmöglich, aber er schätzte sie auf mehr als hundert Schiffe, die in heller Unordnung wie nach einer Schlacht verlassen worden waren. Jeder Arbeiter auf dem Festland verdiente an einem Tag mehr als ein Matrose in einem Monat auf See; die Männer desertierten nicht nur des Goldes wegen, es lockte sie auch, mit Säcketragen, Brotbacken oder Hufebeschlagen Geld zu machen. Einige Schiffe wurden als Speicher oder als improvisierte Hotels
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