Fortunas Tochter
Raffinesse ausbilden, denn die waren nützlicher als Aufrichtigkeit, dessen war sie sicher. Drei Stunden vormittags und drei Stunden nachmittags schloß sie sich mit ihr ein, um die aus England importierten Schulbücher zu studieren; mit einem Lehrer zusammen vertiefte sie den Französischunterricht, denn jedes wohlerzogene Mädchen mußte diese Sprache können. In der übrigen Zeit überwachte sie persönlich jeden Nadelstich Elizas an ihrer Brautausstattung, Bettwäsche, Handtücher, Tischwäsche und wunderschön bestickte Leibwäsche, die sie dann, in Leinwand gehüllt und mit Lavendel parfümiert, in Koffern aufbewahrten.
Alle drei Monate öffneten sie die Koffer und breiteten den Inhalt in der Sonne aus, damit er in den Jahren des Wartens auf die Hochzeit nicht durch Feuchtigkeit und Motten zerstört wurde. Miss Rose kaufte eine Schatulle für den Schmuck der Mitgift und trug ihrem Bruder John auf, sie mit Kostbarkeiten von seinen Fahrten zu füllen. Darin sammelten sich bald Saphire aus Indien, Smaragde und Amethyste aus Brasilien, Halsketten und Armbänder aus venezianischem Gold und sogar eine kleine Diamantbrosche. Jeremy Sommers erfuhr keinerlei Einzelheiten und hatte nicht die geringste Ahnung, auf welche Weise seine Geschwister derartige Extravaganzen bezahlten.
Die Klavierstunden - jetzt bei einem Lehrer aus Belgien, der eine Rute benutzte, um die schwerfälligen Finger seiner Schüler zu ermuntern - wurden ein tägliches Martyrium für Eliza. Sie hatte auch Tanzunterricht, und auf Anregung des Maestro zwang Miss Rose sie, stundenlang ein Buch auf dem Kopf balancierend herumzugehen, damit sie in gerader Haltung heranwuchs. Sie erfüllte alle Aufgaben, machte ihre Klavierübungen und wanderte gerade wie eine Kerze durchs Haus, auch ohne Buch auf dem Kopf, aber nachts schlüpfte sie barfuß in den Dienerpatio, und oft fand der heraufziehende Morgen sie schlafend auf einem Strohsack in den Armen von Mama Fresia.
Im Norden des Landes waren reiche Vorkommen von Gold und Silber entdeckt worden. In den Zeiten der Conquista, als die Spanier Amerika nach diesen Metallen abgrasten und alles mitnahmen, was sie auf dem Wege fanden, wurde Chile als das Hinterletzte der Welt angesehen, denn verglichen mit den Reichtümern des übrigen Kontinents hatte es nur wenig zu bieten. Auf dem Gewaltmarsch über seine himmelhohen Berge und durch die mondkahle Wüste im Norden erschöpfte sich die Gier im Herzen der Eroberer, und wenn sie sich doch noch etwas regte, übernahmen es die unbezähmbaren Indios, sie in Reue zu verwandeln. Die Conquistadoren, ausgelaugt und elend, verfluchten dieses Land, wo sie weiter nichts tun konnten, als ihre Fahnen aufzupflanzen und sich zum Sterben hinzulegen, denn ohne Ruhm heimzukehren war schlimmer. Dreihundert Jahre später waren diese Minen, die den Augen der begehrlichen Soldaten Spaniens verborgen geblieben waren und nun plötzlich wie durch einen Zauber ans Licht traten, ein unerwartetes Geschenk für ihre Nachkommen. So entstanden neue Vermögen in Bergbau, Industrie und Handel, und der alte Landadel, der immer das Heft in den Händen gehabt hatte, fühlte sich in seinen Privilegien bedroht; Verachtung für die Empor– kömmlinge galt als ein Zeichen von Vornehmheit.
Einer dieser Neureichen verliebte sich in Paulina, die älteste Tochter Agustín del Valles. Feliciano Rodríguez de Santa Cruz hatte in wenigen Jahren ein Vermögen angesammelt dank einer Goldmine, die er gemeinsam mit seinem Bruder ausgebeutet hatte. Über seine Herkunft war wenig bekannt, es wurde nur gemunkelt, seine Vorfahren seien konvertierte Juden gewesen und der wohlklingende christliche Nachname sei nur angenommen als Schutz vor der Inquisition - ein Grund mehr für die hochmütigen del Valles, ihn entschieden zurückzuweisen. Jacob Todd mochte Paulina lieber als die vier anderen Töchter Agustíns, weil ihr keckes, fröhliches Wesen ihn an Miss Rose erinnerte. Das junge Mädchen hatte eine Art, frei herauszulachen, die sich sehr von dem hinter Fächern und Mantillas versteckten Lächeln ihrer Schwestern unter– schied. Als er von der Absicht ihres Vaters erfuhr, sie in ein Kloster zu sperren, um diese Liebelei zu unterbinden, beschloß er gegen alle Vernunft, ihr zu helfen. Es gelang ihm durch eine Unaufmerksamkeit ihrer Anstandsdame, allein ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Paulina wußte, daß sie keine Zeit für lange Mitteilungen hatte, sie zog rasch aus dem Halsausschnitt einen Brief, der so oft und
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