Fortunas Tochter
er ja. Ideen, die ihm zusagten, schrieb er in einem dicken, vom vielen Gebrauch schon ganz abgegriffenen Heft nieder, und er gab eine Menge Geld für Bücher aus, manche ließ er sich aus England schicken, andere kaufte er in der Buchhandlung Santos Tornero im Viertel El Almendral, wo auch die Franzosen wohnten und wo das beste Bordell Valparaísos betrieben wurde. Die Buchhandlung war der Treffpunkt von Intellektuellen und angehenden Schriftstellern. Todd konnte ganze Tage hintereinander mit Lesen zubringen, danach gab er die Bücher seinen Freunden, die sie eher schlecht als recht übersetzten und als bescheidene Broschüren verbreiteten.
Der Jüngste in der Gruppe war Joaquín Andieta, gerade achtzehn Jahre alt, aber den Mangel an Erfahrung machte sein Draufgängertum wett. Joaquín liebte es nicht, viele Worte zu machen, er war ein Mann der Tat, einer der wenigen, die genügend Klarheit und Mut aufbrachten, um die Ideen aus den Büchern in revolutionäre Impulse zu verwandeln, die übrigen zogen es vor, sie bei einer Flasche Pisco im Hinterzimmer der Buchhandlung endlos zu diskutieren. Todd mochte Andieta von Anfang an, dieser Junge hatte etwas Beunruhigendes und Rührendes an sich, das ihn anzog. Er hatte seine armselige Aktenmappe bemerkt und den Stoff seines Anzugs, dünn wie eine Zwiebelschale. Um die Löcher in seinen Schuhsohlen zu verbergen, stellte er die Füße beim Sitzen immer fest auf den Boden, er zog auch nie das Jackett aus, weil, wie Todd annahm, sein Hemd voller Flicken und Stopfstellen sein mußte. Er besaß keinen anständigen Mantel, aber im Winter war er der erste, der in aller Frühe schon unterwegs war, um Pamphlete zu verteilen und Plakate an die Wände zu kleben, in denen die Arbeiter zum Aufstand gegen die ausbeuterischen Fabrikherren aufgerufen wurden oder die Matrosen gegen die Kapitäne und die Reedereien - eine oft nutzlose Mühe, weil die Angesprochenen in der Mehrheit Analphabeten waren. Sein Ruf nach Gerechtigkeit verhallte und scheiterte an der menschlichen Gleichgültigkeit.
Zu seiner nicht geringen Überraschung kam Jacob Todd dahinter, daß sein Freund in der British Trading Company angestellt war. Gegen eine erbärmliche Entlohnung und bei einem kaum zu bewältigenden Stundenplan registrierte er die Artikel, die durch das Kontor des Hafens gingen. Natürlich wurden von ihm ein gestärkter Kragen und blankgeputzte Schuhe verlangt. Sein Leben spielte sich in einem schlecht beleuchteten Raum ohne Lüftung ab, wo sich Schreibpulte bis ins Endlose hintereinanderreihten und sich verstaubte Aktenbündel und alte Rechnungs– bücher stapelten, in die seit Jahren niemand mehr hineingesehen hatte. Jacob Todd fragte Jeremy Sommers nach Andieta, aber der wußte gar nicht, um wen es sich handelte; bestimmt sehe er ihn jeden Tag, sagte er, aber er habe keine persönliche Beziehung zu seinen Untergebenen und könne sie nur selten dem Namen nach identifizieren. Aus anderer Quelle hörte Todd, daß der junge Mann bei seiner Mutter wohnte, aber über den Vater konnte er nichts erfahren; er nahm an, er sei ein Seemann auf Landurlaub gewesen und die Mutter wohl eine jener unglücklichen Frauen, die in keine soziale Klasse passen, vielleicht unehelich geboren oder von der Familie verstoßen. Joaquín Andieta hatte andalusische Gesichtszüge und die männliche Anmut eines Toreros; alles an ihm sprach von Festigkeit, Spannkraft und Selbstbeherrschung; seine Bewegungen waren präzis, sein Blick intensiv und sein Stolz rührend. Den utopischen Idealen Todds setzte er einen eisernen Wirklichkeitssinn entgegen. Todd sprach sich für eine Gesellschaft brüderlicher Gleichheit aus, ohne Priester und ohne Polizei, demokratisch regiert nach einem einzigen und unanfechtbaren Gesetz.
»Sie träumen ja, Mr. Todd. Wir haben viel zu tun, es bringt nichts ein, die Zeit mit dem Erörtern von Phantastereien zu vergeuden«, unterbrach ihn Joaquín Andieta.
»Aber wenn wir nicht damit anfangen, uns die vollkommene Gesellschaft vorzustellen, wie wollen wir sie dann schaffen?« erwiderte Todd, sein Heft schwen– kend, das mehr und mehr anschwoll, weil er ihm inzwi– schen Pläne von idealen Städten hinzugefügt hatte, wo jeder Einwohner seine Nahrung selbst anbaute und die Kinder gesund und glücklich heranwuchsen, von der Gemeinschaft aufgezogen, denn wo es kein Privateigen– tum gab, konnte man auch den Besitz von Kindern nicht beanspruchen.
»Wir müssen die unhaltbaren Zustände bekämpfen, in denen wir
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