Foundation 02: Die Stahlhöhlen
»Man hat sie entweder
versteckt, oder der Mörder hat sie mitgenommen, als er den
Tatort verließ.«
»Genau.«
»Und wenn Sie nur die zweite Möglichkeit einräumen,
dann ist die Unschuld des Commissioners erwiesen.«
»Ja. Der ist natürlich vorsichtshalber einer
Zerebralanalyse unterzogen worden.«
»Was?«
»Einer Zerebralanalyse – darunter verstehe ich die
Interpretation der elektromagnetischen Felder der lebenden
Gehirnzellen.«
»Oh«, sagte Baley, ohne zu verstehen. »Und was
entnehmen Sie daraus?«
»Das liefert Informationen bezüglich des
Temperamentszustandes und der emotionalen Einstellung von Individuen.
Im Falle von Commissioner Enderby ergab die Analyse, daß er
unfähig war, Dr. Sarton zu töten. Völlig
unfähig.«
»Allerdings«, pflichtete Baley ihm bei. »Er ist
nicht der Typ dazu. Das hätte ich Ihnen auch sagen
können.«
»Es ist besser, objektive Informationen zu haben.
Natürlich haben sich alle unsere Leute in Spacetown ebenfalls
der Zerebralanalyse unterzogen.«
»Alle ebenfalls eines Mordes unfähig, nehme ich
an.«
»Ohne Zweifel. Deshalb wissen wir auch, daß der
Mörder ein City-Bewohner sein muß.«
»Nun, dann brauchen wir ja nur die ganze City Ihrer
hübschen kleinen Analyse zu unterziehen.«
»Das wäre nicht besonders praktisch, Elijah. Es
könnte Millionen geben, die ihrem Temperament nach zu der Tat
fähig wären.«
»Millionen«, brummte Baley und dachte an die Scharen an
jenem lange zurückliegenden Tag, die den ›dreckigen‹
Spacern ihren Haß entgegengebrüllt hatten, und an die
drohende Menschenmenge vor dem Schuhgeschäft am Tag zuvor.
Und dann sagte er sich: Armer Julius! Verdächtiger in einem
Mordfall!
Er glaubte die Stimme des Commissioners zu hören, wie er die
Zeit nach der Entdeckung der Leiche geschildert hatte: ›Es war
brutal, wirklich brutal.‹ Kein Wunder, daß er seine Brille
vor lauter Schrecken und Ekel zerbrochen hatte. Kein Wunder,
daß er nicht den Wunsch verspürte, nach Spacetown
zurückzukehren. ›Ich hasse sie‹, hatte er zwischen den
Zähnen hervorgestoßen.
Armer Julius! Der Mann, der mit Spacern umgehen konnte. Der Mann,
dessen größter Wert für die City darin lag, daß
er die Fähigkeit besaß, mit ihnen zurechtzukommen. Welchen
Einfluß hatte das auf seinen schnellen beruflichen Aufstieg
gehabt?
Kein Wunder, wenn der Commissioner gewünscht hatte, daß
Baley den Fall übernahm. Der gute, alte, loyale Baley, der den
Mund halten konnte. Der Kumpel aus der Schulzeit! Er würde schon
nichts verlauten lassen, wenn er von dem kleinen Zwischenfall erfuhr.
Baley fragte sich, wie die Zerebralanalyse wohl durchgeführt
wurde. Er stellte sich riesige Elektroden vor und geschäftige
Pantographen, die auf Millimeterpapier Kurven zogen, dachte an
summende Apparate, die hin und wieder von selbst zum Leben
erwachten.
Der arme Julius! Vielleicht sah er sich schon am Ende seiner
Laufbahn, mit einem erzwungenen Rücktrittsgesuch, das der
Bürgermeister bereits in Händen hielt.
Der Streifenwagen setzte sich wieder in Bewegung und näherte
sich den unteren Etagen seiner Behörde.
Es war 14:30 Uhr, als Baley wieder an seinem Arbeitsplatz eintraf.
Der Commissioner war nicht da. R. Sammy grinste, wußte aber
nicht, wo der Commissioner war. Baley verbrachte einige Zeit mit
Nachdenken. Die Tatsache, daß er Hunger hatte, wurde ihm gar
nicht mal bewußt.
Um 15:20 Uhr trat R. Sammy an seinen Schreibtisch und sagte:
»Der Commissioner ist jetzt da, Lije.«
Und Baley sagte: »Danke.«
Zum ersten Mal hörte er R. Sammy zu, ohne verstimmt zu sein.
Schließlich war R. Sammy so etwas wie ein Verwandter von R.
Daneel. Und R. Daneel war ganz offensichtlich keine Person –
oder genauer gesagt, kein Ding – über das man sich
ärgerte. Baley fragte sich, wie es wohl auf einem neuen Planeten
sein würde, wenn Menschen und Roboter dort in einer City-Kultur
bei Null anfingen. Er war imstande, völlig leidenschaftslos
über eine solche Situation nachzudenken.
Der Commissioner war mit ein paar Schriftstücken
beschäftigt, als Baley sein Büro betrat.
»Da haben Sie sich ja ganz schön blamiert, da
draußen in Spacetown«, sagte er.
Und in dem Augenblick erfaßte es ihn wie eine Flut. Das
Rededuell mit Fastolfe…
Sein langes Gesicht nahm einen bedrückten Ausdruck an.
»Das muß ich zugeben, Commissioner. Es tut mir wirklich
leid.«
Enderby blickte auf. Er musterte ihn mit scharfen Augen durch
seine Brille und wirkte jetzt wesentlich
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