Foundation 02: Die Stahlhöhlen
setzte sich
und lehrte sie. Da bringen die Schriftgelehrten und Pharisäer
eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, stellen sie in die
Mitte und sagen zu ihm: ›Meister, diese Frau ist auf frischer
Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Im Gesetz aber hat Moses geboten,
solche zu steinigen. Was sagst nun du?‹
Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, damit sie ihn anklagen
könnten. Da bückte sich Jesu nieder und schrieb mit dem
Finger auf die Erde. Als sie aber beharrlich weiterfragten, richtete
er sich auf und sprach: ›Wer unter euch ohne Sünde ist,
werfe den ersten Stein auf sie!‹
Und er bückte sich wiederum nieder und schrieb auf die Erde.
Sie aber gingen, als sie es hörten, einer nach dem andern
hinaus, die Ältesten voran, und er blieb allein zurück mit
der Frau, die in der Mitte war. Da richtete sich Jesus auf und sprach
zu ihr: ›Weib, wo sind sie? Hat dich niemand
verurteilt?‹
Sie aber sagte: ›Niemand, Herr.‹
Darauf sprach Jesus: ›Auch ich verurteile dich nicht; geh,
sündige von jetzt an nicht mehr.‹«
R. Daneel lauschte aufmerksam. Dann sagte er: »Was ist
Ehebruch?«
»Das hat nichts zu besagen. Das war ein Verbrechen, und zu
jener Zeit war die Strafe dafür die Steinigung; das heißt,
man warf Steine auf die Schuldige, bis sie tot war.«
»Und die Frau war schuldig?«
»Das war sie.«
»Warum ist sie dann nicht gesteinigt worden?«
»Nach den Worten Jesu glaubte keiner der Ankläger mehr,
es tun zu können. Die Geschichte soll zeigen, daß es etwas
gibt, das noch wertvoller ist als Gerechtigkeit, mit der man Sie
ausgestattet hat. Es gibt einen menschlichen Impuls, den man
Barmherzigkeit nennt; eine menschliche Handlung, die man Vergeben
oder Verzeihen nennt.«
»Mit diesen Worten bin ich nicht vertraut, Partner
Elijah.«
»Ich weiß«, murmelte Baley. »Ich
weiß.«
Er fuhr ruckartig an und jagte den Wagen in so hohem Tempo
über die Autobahn, daß er in die Sitzkissen gedrückt
wurde.
»Wo fahren wir hin?« fragte R. Daneel.
»In die Hefestadt«, sagte Baley, »um die Wahrheit
aus Francis Clousarr, dem Verschwörer, herauszuholen.«
»Haben Sie eine Methode, um das zu tun, Elijah?«
»Ich, genaugenommen, nicht. Aber Sie haben eine, Daneel. Eine
ganz einfache.«
Sie rasten weiter.
15
VERHAFTUNG EINES VERSCHWÖRERS
Baley spürte, wie das unbestimmte Aroma der Hefestadt immer
stärker wurde, immer aufdringlicher. Er empfand es gar nicht so
unangenehm, wie manche das taten; Jessie zum Beispiel. Eigentlich
mochte er es sogar. Für ihn verbanden sich damit angenehme
Erinnerungen.
Jedesmal, wenn er rohe Hefe roch, versetzte ihn die Alchemie der
Sinneswahrnehmung mehr als drei Jahrzehnte in die Vergangenheit
zurück. Plötzlich war er wieder ein Zehnjähriger, der
seinen Onkel Boris besuchte, der Hefefarmer war. Onkel Boris hatte
immer ein paar Hefeköstlichkeiten bereit: kleine Kekse,
schokoladige Dinge, die mit einer süßen Flüssigkeit
gefüllt waren, oder hartem Konfekt in Form von Katzen und
Hunden. So jung er auch war, wußte er sehr wohl, daß
Onkel Boris eigentlich so etwas gar nicht haben oder herschenken
durfte, und deshalb aß er sie immer ganz still, irgendwo in
einer Ecke sitzend und dem Raum den Rücken zuwendend. Und ganz
schnell aß er sie, weil er Angst hatte, man könnte ihn
erwischen. Und dies ließ die Leckereien natürlich nur noch
um so besser schmecken.
Der arme Onkel Boris! Er hatte einen Unfall gehabt und war
gestorben. Genaueres hatten sie ihm nie gesagt, und er hatte
bitterlich geweint, weil er gedacht hatte, man hätte Onkel Boris
vielleicht verhaftet, weil er Hefe aus der Fabrik herausgeschmuggelt
hatte. Er rechnete damit, selbst verhaftet und hingerichtet zu
werden. Jahre später stöberte er in den Polizeiakten herum
und fand die Wahrheit heraus. Onkel Boris war von einem
Transportschlepper überfahren worden. Das war ein
desillusionierendes Ende für einen romantischen Mythos.
Aber jedesmal, wenn er auch nur einen Hauch von roher Hefe in die
Nase bekam, stieg dieser Mythos wieder in seiner Erinnerung auf,
wenigstens für einen Augenblick.
Natürlich hieß kein Teil von New York City offiziell
Hefestadt. Unter dieser Bezeichnung hätte man es auf keinem
offiziellen Stadtplan und in keiner Zeitung gefunden. Für die
Postbehörde waren das, was man in der Umgangssprache als
Hefestadt bezeichnete, einfach die Bezirke Newark, New Brunswick und
Trenton. Ein breiter Streifen, der sich quer über
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