Foundation 02: Die Stahlhöhlen
mit ausdrucksloser, leiser Stimme, die in völligem Gegensatz zu seinen Empfindungen stand:
»Was?«
Die Stille lastete zwischen ihnen, während Baley auf Antwort wartete. Ein leises Vibrieren war zu hören, schwoll an und verblaßte dann wieder. Es war das Geräusch eines anderen Streifenwagens, der, mit irgendeinem unbekannten Auftrag betraut, an ihnen vorbeihuschte, vielleicht eine Meile von ihnen entfernt. Vielleicht war es auch ein Löschfahrzeug, das irgendwo eine Katastrophe verhindern mußte.
Ein losgelöstes Stück von Baleys Bewußtsein fragte sich, ob es noch irgend jemanden gab, der all die Straßen kannte, die sich in den Eingeweiden New Yorks dahinwanden. Zu keiner Zeit, weder des Tags noch des Nachts, konnte das ganze Straßensystem völlig leer sein, und doch mußte es einzelne Stellen geben, die seit Jahren kein Mensch mehr betreten hatte. Mit plötzlicher, erschütternder Klarheit erinnerte er sich an eine Geschichte, die er als Junge einmal gesichtet hatte.
Sie handelte von den Stadtautobahnen Londons und begann mit einem Mord. Der Mörder suchte ein vorbereitetes Versteck im Winkel einer Straßenkreuzung, in dessen Staub seine Schuhabdrücke seit einem Jahrhundert die einzige Spur darstellten. In jenem verlassenen Loch konnte er in völliger Sicherheit abwarten, bis die Suche eingestellt wurde.
Aber er nahm irgendeine falsche Abzweigung und schwor in der Stille und Einsamkeit jener verschlungenen Korridore einen wahnsinnigen, gotteslästerlichen Eid, daß er trotz der Dreifaltigkeit und aller Heiligen seinen Zufluchtsort dennoch erreichen würde.
Und von jenem Augenblick an war kein Weg, den er einschlug, mehr der richtige. Er wanderte durch ein endloses Labyrinth vom Brighton-Sektor am Kanal bis Norwich und von Coventry bis Canterbury. Endlos zog er unter der gewaltigen City von London dahin, von einem Ende ihrer Ausdehnung über die südöstliche Ecke des mittelalterlichen Englands bis zum anderen. Seine Kleider zerfransten zu Lumpen und seine Schuhe zerfielen zu Fetzen. Die Kräfte schwanden ihm, verließen ihn aber nie ganz. Er war müde, todmüde, konnte aber nicht anhalten. Er konnte nur immer weiterziehen. Und vor ihm lag das endlose Labyrinth, in dem er immer wieder die falschen Abzweigungen fand.
Manchmal hörte er das Geräusch vorüberfahrender Fahrzeuge, aber die waren immer im nächsten Korridor. Und so schnell er auch rannte (denn inzwischen hätte er sich jederzeit gerne gestellt), die Korridore, die er schließlich erreichte, waren stets leer. Manchmal sah er weit vor sich einen Ausgang, der ins Leben und den Atem der City zurückführte; aber wenn er sich ihm dann näherte, schien es ihm, als verblaßte das Licht, bis es schließlich wieder ganz verschwunden war.
Gelegentlich sahen Londoner, die sich in offizieller Mission irgendwo im Untergrund befanden, eine nebelhafte Gestalt, die lautlos auf sie zuhumpelte, bittend einen halb durchsichtigen Arm hob und deren Mund sich öffnete und schloß, aber ohne daß ein Ton hervorkam. Und wenn die Gestalt dann näher rückte, fing sie an zu verblassen, bis sie ganz verschwunden war.
Es war eine Geschichte, die schon lange zur Legende geworden war. Der Wandernde Londoner war in aller Welt längst ein Begriff.
Jetzt, in den Tiefen von New York City erinnerte sich Baley an die Geschichte, und ein Schauder überlief ihn.
R. Daneels Stimme drang mit einem leichten Echo an Elijahs Ohr: »Es könnte sein, daß man uns belauscht«, sagte er.
»Hier unten? Unmöglich! Also, was ist mit dem Commissioner?«
»Er war am Tatort, Elijah. Er ist ein City-Bewohner. Es war unvermeidbar, ihn zu verdächtigen.«
»War! Verdächtigt man ihn immer noch?«
»Nein. Seine Unschuld war schnell erwiesen. Zum einen hatte er keinen Blaster bei sich. Das wäre auch nicht gut möglich gewesen. Er hatte Spacetown auf dem üblichen Wege betreten, das war ganz sicher. Und wie Sie wissen, werden die Blaster selbstverständlich eingezogen.«
»Hat man die Mordwaffe denn überhaupt gefunden?«
»Nein, Elijah. Jeder Blaster in Spacetown ist überprüft worden, und keiner war abgefeuert worden, seit Wochen nicht mehr. Das hat sich bei der Überprüfung der Strahlkammern ganz eindeutig ergeben.«
»Dann hatte der Täter entweder die Waffe so gut versteckt…«
»In Spacetown aber nicht. Wir haben sehr gründlich gesucht.«
»Ich versuche alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen«, sagte Baley ungeduldig. »Man hat sie entweder versteckt, oder der Mörder
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