Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
mit internationalen Einheiten ausgebildet. Wenn auch nur so lange, wie die deutschen und internationalen Truppen dort vor Ort sind. Wenn sie gehen, greift – so glaube ich – der Satz von Hauptmann Paul: »Afghanen kann man nicht kaufen, man kann sie nur mieten.« Sobald die Taliban wieder Miete zahlen, wie gering die auch sein mag, werden viele Afghanen, insbesondere die lokalen Sicherheitskräfte, vielleicht auch Teile der ANP, wieder bei den Taliban ihren Dienst tun. Die ANA dagegen habe ich in Kunduz als recht unbestechlich und diszipliniert erlebt.
War das ganze Afghanistan-Engagement der ISAF vergebens?
2004 bis 2009 wurden 24155 tote afghanische Zivilisten in den Statistiken vermerkt (Quelle: Wikileaks). Allein 2010 wurden in diesem Krieg 2777 afghanische Zivilisten getötet (Quelle: UN und Afghanische Menschenrechtskommission ), 2011 hat die UNAMA 3021 zivile Opfer gezählt (UNAMA – Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) . Seit 2004 sind, wenn man diese Zahlen zusammenzählt, also 29 953 Zivilisten getötet worden. Da erscheint es fast zynisch, von einem Nutzen für Afghanistan zu sprechen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Ansprüche für eine Verbesserung ihrer Lage in der afghanischen Bevölkerung nicht hoch sind. Afghanistan befindet sich seit spätestens 1978 in einem permanenten Kriegs- oder Konfliktzustand. Mit Besatzung (1978 bis 1989), Bürgerkrieg (1989 bis 2001) und blutigst ausgetragenen Konflikten rivalisierender Warlords. Insoweit sind die vielen Toten eine Mahnung und eine Tragödie – und auch immer ein Totschlagargument, um für ein Scheitern der Mission zu argumentieren –, aber nicht einzige Grundlage, um den Nutzen des internationalen Engagements in Afghanistan zu bewerten. Das wäre zu simpel. Ebenso wie das Engagement jetzt schon zu bewerten. Entscheidend ist die Frage, ob der Einsatz für die Zukunft des Landes die richtigen Weichen gestellt hat. Eine Antwort fällt mir schwer. Mit Blick auf den langfristigen Nutzen des Einsatzes für Afghanistan kann ich – wie vermutlich der Rest der an diesem Konflikt interessierten Welt – nur spekulieren.
Deutlich geworden ist mir, wie schwer die einzelnen Provinzen Afghanistans von Kabul aus zu kontrollieren sind. Wie schwer es ist, die vorhandenen lokalen Sicherheitskräfte langfristig zu Verbündeten der afghanischen Regierung zu machen.
Deutlich geworden ist auch, dass selbst die Region Kunduz nur mit einem massiven Kräfteeinsatz ansatzweise befriedet werden konnte. Und dass auch die Bundeswehr ohne die Hilfe der Amerikaner aus der Luft – medizinische Versorgung durch die Blackhawk-Helikopter und Kampfunterstützung durch die AH-64-Apache-Kampfhubschrauber – schwerlich das erreicht hätte, was sie nun im Raum Kunduz erreicht hat.
Denn – und auch das gehört zu meiner Bewertung – die Region Kunduz macht Fortschritte. Nun kann man argumentieren, dass die Taliban-Führer in Pakistan nur den Abzug der internationalen Truppen 2014 abwarten, dass die Taliban sich zurückhalten, um Kräfte für ihre große Offensive nach Abzug von Bundeswehr und ISAF zu sammeln.
Tatsache ist aber auch, dass die Task Force Kunduz in vielen Gegenden – auch über Tage und Wochen – vor Ort war, die vor ein, zwei Jahren noch No-Go-Areas waren. Gebiete, in denen deutsche Soldaten 2009, 2010 immer wieder in Kämpfe verwickelt wurden. Gebiete, in denen deutsche Soldaten gefallen sind. In diesen Gebieten ist man nun – auch durch den Einsatz und die Opfer der Vorgänger-Kontingente – mit Vorposten der Bundeswehr und Stellungen der afghanischen Polizei präsent.
Wie nachhaltig diese Sicherheit ist, wird sich erst zeigen, wenn die ISAF Afghanistan verlässt. Davor ist alles Spekulation. Da stimme ich mit Jan-Uwe »Juwe« Schröder überein, wenn er sagt: »Ob dieser Krieg verloren ist oder nicht, werden wir erst wissen, wenn wir aus diesem Land wieder raus sind.«
Meiner Meinung nach geht es für die westlichen Staaten derzeit darum, die afghanische Zentralregierung in eine möglichst starke Position zu bringen. Aus dieser möglichst starken Position werden dann Verhandlungen für eine Rückkehr der Taliban in die afghanische Gesellschaft und in die afghanische Politik geführt werden. Je stärker die Position Kabuls, desto eher lässt sich das westliche Engagement am Hindukusch als Erfolg verkaufen. Von dem ursprünglichen Ziel des Bundeswehreinsatzes, wie es der Bevölkerung in Deutschland zu Anfang verkauft
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