Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
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Embedded oder »tief integriert«
Hamburg, Deutschland
7600 und ein paar mehr Kilometer sind es von Hamburg, wo ich lebe, nach Kunduz. Warum fahre ich über Sprengfallen, die – »Scheiß-Glück« – heute nicht explodiert sind? Ich bin kein Soldat, war nicht einmal beim Bund. Ich habe als Zivi auf einem Ökobauernhof mit Behinderten gearbeitet. Warum zum Teufel bin ich also hier?
Weil ich wissen will, was genau die deutschen Soldaten in Afghanistan machen, wie im Einzelnen ihr Alltag hier abläuft und weil ich erfahren will, ob sie sich – so wie ich – fragen, warum sie in diesem kargen Land sind.
Über ein Jahr lang hat sich unser Team bemüht, eine Genehmigung für dieses Projekt zu bekommen. Nach vielen Gesprächen in Bonn, in Berlin und in Munster kam endlich die Zusage. »Eine Zensur findet nicht statt, die journalistische Freiheit wird gewahrt», sagte man uns. Im Gegenzug sicherten wir dem Ministerium und den Soldaten zu, »sensibel« zu filmen und Vertrauliches als solches zu behandeln. Das war auslegbar und würde sich im Praxistest beweisen müssen. Damit stand unser Projekt: den sechsmonatigen Einsatz einer Bundeswehr-Einheit in der Region Kunduz langfristig und aus der Nähe zu begleiten. Sich vor Ort ein Bild zu machen und es in diesem Buch und dem Film »Foxtrott 4 – sechs Monate Afghanistan« an Leser und Zuschauer weiter zu geben.
Am 1. Juli 2011 soll ich mit einer Gruppe deutscher Soldaten nach Afghanistan verlegt werden: 180 junge Männer und Frauen zwischen 19 und 34 Jahren. Die Panzergrenadiere aus Munster (Lüneburger Heide, Niedersachsen) ziehen für sechs Monate in den Krieg – und ich fahre mit. Ich werde das Gleiche essen wie die Soldaten, werde neben ihnen schlafen, mit ihnen auf Patrouille fahren, mit ihnen schwitzen und frieren und, vermutlich, auch Angst mit ihnen haben. Das halbe Jahr in Kunduz ist Thema dieses Buches.
Insofern ist die Erzählperspektive eine distanzlose Perspektive – es ist die der Soldaten. In Hamburg oder München oder Straubing lesen wir im Sessel oder am Küchentisch über sie und ihren umstrittenen Einsatz in der Zeitung. Oder wir sehen sie auf dem TV-Bildschirm im Hintergrund, wenn die Kanzlerin oder der gerade amtierende Verteidigungsminister ihnen einen Besuch im Feldlager Kunduz oder Mazar-i Sharif abstattet. Alles weit weg für uns, und alle irgendwie so adrett in Uniform und militärisch-strammer Haltung.
In diesem Buch sollen die Soldaten in der ersten Reihe stehen. Im Vordergrund. Mit allem, was dieser militärische Einsatz von ihnen an persönlichem Einsatz verlangt, wie er sich für sie anfühlt und was er mit ihnen macht. Von all dem haben die, die in ihrem sicheren Zuhause sitzen – Familien, Landsleute, ich und auch die meisten Politiker – noch heute, zwei Jahre vor dem geplanten Abzug der deutschen und aller alliierten Kampftruppen in Afghanistan, wenig Ahnung. Das möchte ich ändern.
Und deshalb soll dies kein Feldlager-Report werden. In den sechs Monaten, in denen ich sie begleite, werden die Soldaten immer wieder außerhalb des Camps Stellung beziehen und dabei unter primitivsten Bedingungen leben und ihren Dienst tun – Hitze, Staub, Ungeziefer, Gestank, ein Rucksack für das Nötigste und ein Feldbett als Schlafplatz.
Was sie erleben, fühlen, denken, vermissen, will ich miterleben und mit ihnen darüber reden. Sie werden körperliche und psychische Hochs und Tiefs durchstehen müssen – mir wird es ähnlich ergehen. Sie werden ihren Job tun in diesem Krieg in Afghanistan – ich werde diesen Job beschreiben.
Deshalb bin ich »eingebettet« oder, auf Englisch, »embedded«. Diesen Terminus schätzt man bei der Bundeswehr nicht besonders, vielleicht klingt er zu sehr nach Daunenkissen, also bin ich nach offizieller Sprachregelung »tief integriert«. Aber derlei Wortklaubereien spielen für mich und die Soldaten keine Rolle. Ich wurde einer Einheit der Task Force Kunduzzugeteilt. Meine nächsten Bezugspersonen bildet eine Gruppe aus vier Soldaten und einem Gruppenführer. Sie stellen die Besatzung eines Dingo-Radpanzers, Funkname des Fahrzeugs im NATO-Alphabet: Foxtrott 4 . Insgesamt fünf solcher Fahrzeuge bilden den Foxtrott-Zug der 3. Kompanie. Ihr Auftrag: den Norden Afghanistans durch Patrouillen zu sichern und ihn durch Aufenthalte auf Außenposten und Patrouillen langfristig zu stabilisieren. Nur in ihrer »Freizeit« hält sich die Besatzung des Foxtrott 4 im Feldlager Kunduz auf.
Der Afghanistan-Krieg der
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