Fräulein Else - Novelle
dictiert“ habe, sagt, wie seine Kunstfigur à la Schumann.
Es wird hier nicht zum ersten Mal geäußert, dass es eine gütliche Lösung der Schnitzler'schen Geschichte gibt, allerdings zunächst mit anderen Argumenten. Da ist z.
B. die Dosierung des Veronals, die entschieden Anlass gibt, Else am nächsten Tag wieder einigermaßen lebendig besuchen zu können. Vetter Paul wird da sicherlich wie am Vorabend wieder am Bett stehen und die eifersüchtige Cissy zurechtweisen, die instinktiv erkennt, dass sie Paul durch den Coup im Musiksalon an ihre jungmädchenhafte Rivalin verloren hat: „Möchtest du mir nicht den Gefallen tun und schweigen, Cissy?“ , weist Paul sie zurecht. Der Verweis spricht Bände. Cissy spürt ohnehin, dass Else alle zum Narren hält. |127| In ihrem Zweifel versteckt Schnitzler, der Arzt und allmächtige Autor, seine viel zu knappe Dosierung des Schlafmittels Veronal. Er verordnet Else fünf bis sechs Pulverrationen, die nach einhelliger pharmazeutisch-medizinischer Ansicht in keinem Falle tödlich sind. Auch Else weiß das insgeheim selber. Die Faktenlage ist also klar, aber sie wird gerne zugunsten analysierender Spekulation auf ihren Tod als störend beiseitegewischt.
Weniger spekulativ als die Wette auf die tote Protagonistin ist die Frage nach dem eigentümlichen literarischen Aggregatzustand, in dem dem Leser die Szenen begegnen. Er ist, gelinde gesagt, ziemlich unwirklich, reichlich irreal, ja surreal anmutend. Die Luft ist wie Champagner, wird mehr als einmal angedeutet, um die Stimmungslage zu charakterisieren. Else ist in diesem Sinne durchaus nicht mehr nüchtern und sie diagnostiziert Fieber, das sie als Champagnerwirkung oder auch als prämenstruelle Befindlichkeitsstörung deutet. Aber als ein gebildetes und in den bürgerlichen Konventionen erzogenes Kind der Jahrhundertwende ist sie vor allem belesen und mit dem Theater aufgewachsen. Und auf ebendieser Folie deutet sie unentwegt die scheinbar festverfügte Wirklichkeit ihres Lebens am magischen Höhenort um: „Das ist ja schon wieder aus einem Roman. Die edle Tochter verkauft sich für den geliebten Vater, und hat am End' noch ein Vergnügen davon.“ |28| Gespräche klingen so für sie: „Das sagt man doch nur im Burgtheater.“ |53| Wenn Dorsday, der lüsterne Alte, Komplimente macht, klingt es „wie aus einem Buch“. |59| Sie weiß seine Rede wohl zu qualifizieren: „Affektierter Schuft. Spricht wie ein schlechter Schauspieler.“ |60| Und ihren Plan, nackt unter dem Mantel auf der Wiese oder im Musiksalon zu erscheinen und ihn bei bester Gelegenheit theatralisch fallen zu lassen, bietet sie als „Vorstellung“ an: „Die Vorstellung kann beginnen.“ |104|
Die Kunstwirklichkeit ihrer Situation kommt ihr selber merkwürdig vor. Immer wieder muss sie sich bestätigen: „Nein, ich träume nicht, es ist alles wahr.“ |100| Selbst in ihrer Ohnmacht ist sie von eigenartig klarem Bewusstsein: „Ich bin nicht ohnmächtig. Ich träume nur.“ |119| Endgültig träumt sie sich bei wachem Traumbewusstsein ins Wiedererwachen: „morgen früh
…“, wenn Gott will! |136| Gott will und sie wird wieder geweckt werden, denn die Tabletten waren ohnehin fiktive Tabletten, waren geträumte Tabletten in einem Traum, den Else schon dreimal geträumt hat und der hier als Elses Traum erzählt wird. Es ist ein Traum von der Art des Shakespeare'schen Sommernachtstraums , in dem „Zettels Traum“ erzählt wird. Ein harmloser Ringelreihen und Feentanz ist dieser Sommernachtstraum , wie man seit Langem weiß, absolut nicht. Else träumt wie der erzromantische Held Heinrich von Ofterdingen von Novalis in Nacktheit wollüstig badend von der blauen Blume. Das ist ein Traum, den auch der Held Thomas Manns auf seinem Zauberberg am blau blühenden Ort träumt. Niemand hat Else je von solchen Träumen erzählt, noch weniger hat sie von ihren eigenen etwas ausgeplaudert: „Fräulein Else“, spricht sie sich traumtrunken an, „ich könnte Geschichten von Ihnen erzählen … einen gewissen Traum zum Beispiel, den Sie schon dreimal gehabt haben – von dem haben Sie nicht einmal Ihrer Freundin Bertha erzählt. Und die verträgt doch was.“ |63|
In ebendiesem Augenblick wird im Bewusstseinsstrom oder vielmehr im sprunghaft fließenden Strom ihres Traumbewusstseins der „gewisse Traum“ zum vierten Mal geträumt und zum ersten Mal schriftlich von dem poetischen Traumforscher Dr. Arthur Schnitzler festgehalten. Else träumt und
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