Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
gar nichts davon mitbekommen.« [109]
Je mehr wir darüber nachdachten, umso mehr Angst bekamen wir, also kämpften wir um unser Leben. Als Erstes stieß ich das Infusionsgestell um. Die Flasche ging zu Bruch, was einen von den Irren wach machte, er brüllte: »Meldung!«, und ich wurde wieder, diesmal fester, gefesselt und bekam eine neue Infusion.
Und der »Pfleger« zwang uns dazu noch, Medikamente zu nehmen, die »gut für die Nerven« seien. Morgens und abends eine große Handvoll. Wenn wir sie genommen hatten, wurden unsere Körper ganz lahm und schlaff, und wir wollten nur noch schlafen. Außerdem lief uns ständig der Speichel aus dem Mund, und wir hatten auch kein Bewusstsein mehr für das Kauen. Ich nahm dieses Zeug einmal, dann weigerte ich mich. Da befahl der »Pfleger« einer Gruppe von Irren, mich niederzudrücken, zwang mir den Mund auf, verpasste mir eine Mundsperre und flößte mir die Medikamente mit abgekochtem Wasser gewaltsam ein. Ich bekam keine Luft und hustete die Tabletten wieder aus, da wiederholten sie die Prozedur, verbrannten mir mit kochendheißen Wasser den Rachen und die Zunge, es spritzte auf den Boden, und ich wurde vor Schmerz ohnmächtig. Am nächsten Tag hatte ich auf der Kopfhaut und im Gesicht überall große Brandblasen, die anschwollen, sich schälten und erst nach über einem halben Monat Narben bildeten.
Danach schienen wir zu sein wie alle anderen Verrückten auch, wir nahmen brav unsere Medikamente, tranken Wasser dazu, sperrten für unsere »Pfleger« freiwillig den Mund auf, rollten die Zunge zur Seite, damit sie mit einer Taschenlampe die Mundhöhle untersuchen konnten, ob wir tatsächlich auch alles geschluckt hatten.
LIAO YIWU:
So sind Sie am Ende zu Geisteskranken gemacht worden?
FRAU CHEN:
Anfangs habe ich das Große Gesetz immer noch im Kopf aufgesagt, aber dann habe ich dafür die Energie nicht mehr aufgebracht, und ganz am Ende hatte ich nur noch das Gefühl zu fallen, meine Lider waren schwer wie Blei. Ich konnte Tag und Nacht nicht mehr klar unterscheiden, wenn ich meine Medikamente nicht bekam, wurde ich nervös. Vielleicht habe ich im Traum noch gerufen »Meister, rette mich«, jedenfalls hat die Anstaltsleitung mir und Yang Chongyu ein anderes Zimmer gegeben. Diesmal waren die Fenster mit daumendickem Draht verschlossen, es gab keine Glühbirnen, es war stockfinster, wie in einer Leichenkammer. Später erfuhren wir, dass nebenan tatsächlich die Leichenkammer war. Im Vorraum unseres Krankenzimmers warteten zwei betagte nervenkranke Frauen auf den Tod, sie sahen aus wie Skelette, man konnte ihr wirkliches Alter nicht einmal mehr ahnen. Sie lebten von zwei Mahlzeiten am Tag, sie bekamen Schweine- und Hundefutter, sie nahmen nicht einmal mehr Medikamente, denn sie waren schon Jahre in diesem Zimmer eingeschlossen und kein Mensch kümmerte sich um sie. Sie hatten die Angewohnheit, mitten in der Nacht, wenn alles ruhig war, splitterfasernackt Selbstgespräche zu halten, ab und zu sangen sie auch ein paar Zeilen eines wilden Bauernliedes, man bekam eine Gänsehaut, wenn man das hörte.
Eines Tages sollte dieses Zimmer umgebaut werden, also mussten die beiden Alten auf Anordnung in ein anderes umziehen. Als die Tür aufging und das Tageslicht eindrang, hielten die beiden sich mit allen Anzeichen des Entsetzens die Hände vor die Augen, sie sahen aus wie zwei alte Mäuse, denen die Haare ausgegangen waren. Sie weigerten sich, etwas anzuziehen, der »Pfleger« ließ sie von ein paar Verrückten in große Mäntel hüllen, die beiden verzogen das Gesicht, wichen zurück und machten unter sich, die »Pfleger« hielten fünf Meter Abstand, hielten sich die Nasen zu und winkten.
LIAO YIWU:
Diese Anstalt war anscheindend eine einzige Jauchegrube.
FRAU CHEN:
Ich wurde einhundertundzehn Tage als Nervenkranke »behandelt«, Yang Chongyu fast schon ein Jahr lang. Eines Tages kamen die Vorsitzende des Frauenverbandes der Gemeinde Hesheng und jemand vom Petitionsbüro zu einem »Krankenbesuch«, bei dem Treffen waren wir durch ein Eisengitter getrennt. Sie fragten nach meinen Lebensumständen, ermahnten mich, mich »von meinem Irrglauben loszusagen und auf den rechten Weg zurückzukehren«, und sagten so einen Unsinn wie: »Hat diese Falun Gong nicht schon genug angerichtet? Deine Familie gibt es nicht mehr, dein Name wird nicht weiterexistieren, du hast den Verstand verloren …«
Ich fiel ihr ins Wort und korrigierte sie: »Ich habe nicht den Verstand
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