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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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unseres Dorfes, ein gewisser Huang sowieso, an der Brust packte und mir ein gutes Dutzend schallender Ohrfeigen gab. Als ihm die Hand wehtat und er außer Puste war, machte er eine Faust, aus der das Mittelfingergelenk vorschaute, und es prasselte Schläge.
    Im Nu war mein Gesicht grün und blau und ich sah diesen Menschen nur noch verschwommen. Ich konnte nicht mehr und brach zusammen, da trat er mir immer wieder mit seiner Schuhspitze gegen den Kopf. Dann wurde ich an den Füßen aus dem Büro gezerrt und im Innenhof wie ein Ball aus Fleisch hin und hergetreten, ich rollte nur noch unkontrolliert herum, aber es war kein Entkommen. Es gab immer mehr Gaffer, viele Passanten drängten von der Straße in das große Tor der Gemeindeverwaltung, um sich das Spektakel anzuschauen, und sie schrien: »Sie verhauen die Falun Gong! Kommt schnell!«
    LIAO YIWU:
    Und niemand hat ihnen Einhalt geboten?
    FRAU CHEN:
    Nein.
    LIAO YIWU:
    Die kennen kein Gesetz und keinen Himmel.
    FRAU CHEN:
    Das weiß ich nicht, das weiß ich nicht. Ich bekam längst nichts mehr mit. Ich spürte nur die Beine der Leute, die dicht an dicht drumherum standen, mal kamen sie nach vorn, mal gingen sie zurück, mal war der Himmel und das Haus hoch, mal wieder niedrig. Wahrscheinlich hatten sie Angst, dass es einen sehr schlechten Eindruck machen würde, wenn die Massen mich auf der Stelle totgeschlagen hätten, also wurde ich wieder an den Füßen in den großen Ratssaal gezerrt. Die Massen blieben draußen, sie schrien: »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«
    Und dann sind der stellvertretende Parteikomiteesekretär, dieser Huang irgendwas, die stellvertretenden Dorfvorsteher Huang und Zhang irgendwas, unter dem aufmunternden Gejohle der Menge abwechselnd über mich her. Wenn einer müde war, trat er zurück und legte eine Verschnaufpause ein, dann machte ein anderer auf andere Weise weiter. Sie ließen mich hinknien und schlugen mir mit zusammengedrehten Kupferkabeln auf die nackten Fußsohlen. Vier Stunden lang, ohne Unterbrechung.
    LIAO YIWU:
    Und Sie waren noch bei klarem Bewusstsein?
    FRAU CHEN:
    Ich weiß nicht. Ich wusste nur noch »Gerechtigkeit – Barmherzigkeit – Nachsicht«.
    LIAO YIWU:
    Und sonst?
    FRAU CHEN:
    Gelegentlich wehten ein, zwei Satzfetzen an mein Ohr: »Chen, wie fühlt man sich im weiten Meer der Volksmassen!?« Und dann noch: »Eine Falun Gong totzuschlagen ist straffrei«.
    LIAO YIWU:
    Sonst nichts?
    FRAU CHEN:
    Nein. Außer »Gerechtigkeit – Barmherzigkeit – Nachsicht« und dem Meister Li Hongzhi. Wenn man das Rad des Gesetzes dreht, dann öffnet man sich immer mehr nach außen, da verschwinden die Hände, die einen schlagen, und die Füße, die einen treten. Und Schmerzen, Schmerzen habe ich keine gespürt, die kamen später. Aber meine Schuld wurde geringer und mein Karma besser, das ist es, was diese Leute für mich taten, sie haben meine Schuld verringert und mein Karma verbessert.
    Ich war am ganzen Körper blau und schwarz, ich hatte keine unversehrte Stelle mehr. Abends, es war schon nach sieben, höre ich auf einmal nebenan meine siebzig Jahre alte Mutter weinen. Jemand fragte sie drohend, warum sie weine. Sie wagte nicht zu sagen, dass es wegen ihrer Tochter war!
    An diesem Abend wurde auch das Haus meiner Mama durchsucht. Die Polizisten haben alles eingepackt, was irgendwie von Wert war, den Fernseher, das Bettzeug, das Moskitonetz, die Kleider, die Wärmflasche, alle möglichen elektrischen Küchengeräte, die alten Silberdollars und das alte Kupfergeld, das ich früher gesammelt habe, Porträtanstecker und so fort. Nicht einmal das Gemüsemesser und die Fleischerhaken haben sie sich entgehen lassen. Dann sind meine Mutter und ich in einen Güterzug verfrachtet und zwangsweise in unser altes Zuhause auf dem Land zurückgeschickt worden, wo man uns überwachte – sie sagten, das sei, damit das Image der Verwaltung von Hesheng nicht besudelt werde.
    LIAO YIWU:
    Das ist ja finsterstes Mittelalter!
    FRAU CHEN:
    Und das war erst der Anfang. Vor dem Drachenbootfest 2001 bin ich mit zwei Freunden aus der Falun Gong in den Kreis Pi gefahren, wir hatten gerade »Das Große Gesetz des Falun ist gut« an die Außenwand des Pindong-Tempels geschrieben, als uns ein von der Kommunistischen Partei verblendeter Mönch schnappte und bei der Polizei anzeigte. Wir wurden in das Untersuchungsgefängnis des Kreises gesperrt. Aus Angst, meine Familie und andere Falun-Gong-Anhänger da mit hineinzuziehen, habe ich Namen und Adresse

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