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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Erläutern des Paarungsverhaltens der Schwanzmeisen konsequent von der Schwarzmeise sprach. Ich bestand. Die Lehrerin dachte sich womöglich: Ach, lass sie doch mit einer Vier gerade so durchkommen. Die wird’s Abi eh nicht mehr brauchen können.
    Nach den Prüfungen schnitt ich meine Haare von Kinnlänge mal wieder ganz kurz ab. Meine Eltern kamen zur Abiturfeier aus Zürich angereist. Es war ein unglaublich stürmischer Sommertag.
    Nach langen Reden in der gestauten Hitze des hell erleuchteten Aularaumes nahm ich von meinem Deutschlehrer das Blatt Papier entgegen. Er sah mich in diesem Augenblick wohlwollend an. Ich hatte etwas gut gemacht – zum ersten Mal in meinem Leben etwas zu einem Ende gebracht. Ich glaubte auf dem Rückweg zu meinem Stuhl zu schweben. Für Sekunden war da tatsächlich so etwas wie Genugtuung. Gleichzeitig wollte ich sofort meine Koffer packen und in die große weite Welt ziehen, um endlich meinen Traum zu leben. Ich dachte nicht über Studium oder Universität nach, mir war völlig klar, dass ich niemals, nie wieder irgendeine schulähnliche Einrichtung betreten würde. Ich wollte leben, arbeiten, etwas bewegen, handeln, mich nützlich machen.
    Als die anderen Schüler meiner Stufe zu tanzen und zu trinken anfingen, verließ ich den Abiball. Ich hatte keine Lust zu feiern. Ich verabschiedete mich von den Lehrern und wollte mich nie mehr umsehen.

    Wenn ich heute zuhöre, wie andere in guter Erinnerung von ihren Schulzeiten erzählen, stelle ich fest, dass ich keine einzige gute Erinnerung an die Schule habe. Ich habe keine Freunde, die mir aus dieser Zeit geblieben sind.
    Für mich war das Abitur kein Abschnitt, nichts, worüber ich mich freute, weil es mir Türen öffnete. Ich war nur darüber erleichtert, was die Bildung anging, endlich Ruhe zu haben.
    Berlin blieb hart. Die Härte hob allerdings die Härte auf, die ich mir selbst entgegenbrachte, und so war ich mit der Stadt wieder in Einklang und blieb.
    In Zürich fühlte ich mich fremder als jemals zuvor. Keine vier Tage hielt ich es in dieser Zwangsjacke aus, dann bekam ich Erstickungsanfälle und musste weg. Wie herrlich erschienen mir dann die riesigen Straßenschluchten Berlins, die zweispurigen Straßen, die abgefuckten Ecken, die vollgepinkelten Treppenhäuser, die stinkenden U-Bahnhöfe. Ich liebte es. Nun war ich es, die Netzstrümpfe trug. Wenn ich in Zürich war, erntete ich entrüstete Blicke, wenn ich die Kellner zu direkt anging. Statt: »Ich hätte gerne«, sagte ich: »Ich will!«, und das wurde in Zürich als grobe Unhöflichkeit empfunden. Da alle alles schon haben, kann in dieser Stadt niemand noch etwas wollen.
    In Zürich kam ich mir immer schmuddelig vor, egal, was ich anhatte. Ich fühlte mich schäbig und schlecht frisiert im Gegensatz zu den perfekt gekleideten und abgerichteten Ehefrauen. Zürich setzte eine Messlatte, die ich nie würde erreichen können. Und nie werde ich in dieser Stadt das Gefühl los, dort vorgezeigt zu bekommen, was ich nicht geschafft, nicht erreicht habe.
    Berlin verdanke ich viel Schmerz, aber ich verdanke dieser Stadt auch den Raum, den ich gebraucht habe, um mich zu entfalten.

8
    Am Montag versorgt Francis nach unserem letzten gemeinsamen Ausritt vor meiner Abreise die Pferde, und ich hole Mittagessen im Country Store. Alison, eine der Köchinnen und Bedienungen dort, steht am Tresen und kritzelt mit ihren zarten, fast dürren Fingern meine Sandwich-Bestellung auf einen grauen Papierzettel. Sie schmiert Senf auf die Brotscheibe und fragt, wie es mir geht. Ich sage – und in Vermont entspricht es immer der Wahrheit –, dass es mir sehr gutginge. Sie scheint sich zu freuen und meint feenhaft lächelnd, hier sei das kein Wunder. Sie belegt die Brotscheiben mit Aufschnitt und Käse, stapelt Gurken und Tomatenscheiben aufeinander, schmiert für Francis noch Meerrettich aufs Roastbeef und wickelt die Brote dann in Wachspapier ein.
    Da kommt Jim mit einigen mir unbekannten Männern herein und setzt sich. Er grüßt, ich grüße. Ich nehme Papierservietten vom Stapel. Ich wüsste jetzt nicht, was ich sagen könnte, um am Gespräch der Gruppe teilzunehmen. Jim redet mit den anderen über einen Käfer, der die Nadelbäume befällt. Es klingt, als seien gerade alle damit beschäftigt, die befallenen Bäume zu fällen und zu verbrennen. Dann meint ein anderer, dass er gestern auf der Baustelle am Fletcher Hill den großen Radlader in den Schlamm gefahren habe und zwei weitere Fahrzeuge

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