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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Leibnizstraße und weinte weiter. Sie wünschte mir »viel Glück« und schlug, ihren Freund am Arm, die entgegengesetzte Richtung ein.
    In den nächsten Tagen sah und spürte ich mich nicht. Lustlos streunte ich umher.
    Es begann zu regnen und regnete tagelang. Immer wenn es wieder anfing, hatte ich keinen Schirm dabei. Dreimal kam ich völlig durchnässt nach Hause. Alles war mir egal. Die Leere, sie ließ sich nicht mehr auffüllen. Pano schien das Einzige gewesen zu sein, das mein Leben lebenswert gemacht hatte, er war der Einzige, der mir über mein Gesicht gestreichelt und meine Haare zerzaust hatte.
    Seine Hände fehlten mir, sein Geruch, seine Augen, ich war verrückt nach ihm.
    Ich wusste jede einzelne Stunde nicht, wie ich die kommende überleben sollte. Unansprechbar und wie in Nebel gehüllt war ich. Meine Verfassung erinnerte mich an meinen Zustand, nachdem ich aus Argentinien zurückgekehrt war. Mir ging der Moment, in dem Pano mich noch einmal in den Arm genommen hatte, nicht aus dem Kopf. Er hatte mich geküsst, aber es war nur ein Hauch gewesen. In meiner Trauer hatte ich es gar nicht mehr wahrgenommen, nun versuchte ich mich zu erinnern.
    Von jeder Kurznachricht, die ich auf dem Telefon erhielt, hoffte ich, sie sei von ihm, mit jedem Klingeln hörte ich schon seine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung. Aber er rief nicht an und würde auch nie wieder anrufen.
    Ich hatte geglaubt, schon alles verloren zu haben, was ich zu verlieren gehabt hatte: das Jungsein, mein Nest, meine Fröhlichkeit, meinen Mut und den Bezug zur Wirklichkeit. Und nun hatte Pano meine Seele geplündert.
    Ich begann mich wieder in Frage zu stellen. Aber aus Berlin weg wollte ich nicht, auch wenn es grausam und hart war zu bleiben. Ich wollte mich an der Realität schneiden – ich wollte, dass mir das Leben weh tat. Nun steckte ich mitten drin, und es schmerzte.

6
    Al s nach Feierabend um 4Uhr nachmittags alle die Farm verlassen haben, sitze ich alleine in der Küche.
    Soll ich noch ins Dorf?
    Ich brauche nichts.
    Soll ich mit dem Mountainbike raus? Das ist keine schlechte Idee. Aber ich bin irgendwie faul, und mir ist nicht nach Keuchen und Schwitzen.
    Da hast du deine Einsamkeit. Und jetzt fängst du an, dich zu langweilen?
    Müde lege ich mich auf das Sofa. Nichtsnutzige Gedanken kommen und gehen, bis ich kurz die Augen schließe. Im Halbschlaf beobachte ich die Schafherden. Ich höre ihre Rufe in meinen Gedanken, erst die Lämmer, dann die Mütter und dann nehme ich ein Schluchzen, ein ersticktes Schreien wahr. Ich schlage die Augen auf. Durch das geöffnete Fenster, das zur Straße geht, höre ich langsame Schritte auf dem Kies und wieder ein fürchterliches Weinen. Sofort setze ich mich auf und erblicke hinter den kahlen Apfelbäumen eine ältere, zierliche Frau, die in einer knallbunten Jacke den Wegrand entlangwankt.
    Ich sehe, wie die Frau kurz stehenbleibt, in die Knie sackt, sich fängt und schließlich aufheult wie ein gequältes Tier.
    Auf dem direkten Weg gehe ich über die Veranda raus auf die Straße, an der vor wenigen Tagen noch Jim gehalten hatte, um mir stolz seinen erlegten Biber zu zeigen.
    Zögerlich gehe ich auf die Gestalt zu. »Ist alles in Ordnung?«, frage ich und merke in dem Moment, wie blöd meine Bemerkung ist.
    Die Frau bricht in entsetzliches Schluchzen aus. Sie reagiert nicht. »Kann ich Sie mit dem Auto nach Hause bringen? Bald wird es dunkel, und Sie haben keine Taschenlampe dabei – Sie werden sich verlaufen.«
    Die Frau kann vor lauter Tränen nicht sprechen. Nach Atem ringend, reißt sie stumm wie ein Fisch immer wieder den Mund auf und presst dabei ihre Hand auf die Brust.
    »Jetzt erzählen Sie doch mal, was passiert ist«, hake ich eindringlich nach, um sie zum Sprechen zu bringen und somit auch hoffentlich zur Beruhigung.
    Sie schluchzt bitterlich. Dann wendet sie sich mir zu, krallt sich mit den Händen an meinem Pullover fest und sinkt in die Knie. Mit zusammengepressten Augenlidern und einer schrecklichen Stimme bricht sie krampfhaft hervor: »Mein Mann hat mich verlassen! – Nach zweiunddreißig Jahren Ehe!«
    O nein, denke ich. Die Situation erscheint mir fast schwieriger, als wenn ihr Mann gestorben wäre – womit ich erst gerechnet habe. Ich löse ihre Finger aus der Wolle meines Pullovers und greife ihr unter die Achseln, um sie zu stützen, und spüre dabei ihre Knochen unter der grellen Sportjacke. »Kommen Sie, ich begleite Sie ein wenig, und Sie erzählen, was

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