Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
hätte ihn auf der Stelle geheiratet und wäre mit ihm nach Kreta gezogen, wo wir glücklich bis ans Ende unserer Tage Ziegen gehütet hätten.
Dann kam das Geständnis.
»Ich habe eine Freundin.«
Ich redete mir ein, er habe gesagt, er würde sich für mich von seiner Freundin trennen, mich morgen heiraten und mit mir nach Griechenland ziehen, wo wir glücklich bis ans Ende unserer Tage Ziegen hüten könnten.
Wenn ich ihn liebte, musste er mich lieben. Punkt.
Man nennt es auch Sturheit.
Ich hörte also geduldig zu, wenn er mir, auf dem Bett liegend, mit gequälter Stimme erzählte: »Die Situation mit meiner Freundin ist schon seit einiger Zeit sehr schwierig, aber wir sind schon zehn Jahre zusammen. Ich weiß gar nicht, wie das weitergehen soll. Mein Vater liegt im Sterben, ich muss nach Kreta. Und die Arbeit! Ich habe so viel zu tun, zeichne von morgens bis abends an diesen Plänen für die Zahnarztpraxis, und bin nur müde.« Dann sank er ins Kopfkissen, durchbohrte mich mit seinen liebestrunkenen, dunkelbraunen Augen und fragte leise: »Aber, sag mal, kann ich mit dir schlafen?«
Ich verstand ihn nicht. Er konnte doch nicht eine Freundin haben und mit mir schlafen wollen. So was tat man nicht. Nein. Ich erklärte: »Du kannst mit mir schlafen, wenn du dich von deiner Freundin getrennt hast.«
Diese Aussage nahm er zum Anlass, sich wegen fürchterlicher Kopfschmerzen zu verabschieden, er habe noch zu tun. Ich ließ ihn gehen.
Irgendwann rief ich bei ihm an. Mehrere Wochen, in denen ich fortfuhr, an unsere gemeinsame Zukunft zu glauben, folgten. Ich stellte ihm heimlich eine Papiertüte mit Lebensmitteln vor seine Wohnungstür am Prenzlauer Berg, da er nach seiner Aussage »nur am Arbeiten« war und »nicht mal Zeit zum Einkaufen« hatte. Er bedankte sich in einer Kurznachricht. Dann flog er nach Kreta zu seinem kranken Vater und kehrte eine Woche später nach Berlin zurück. In dieser Woche muss ich schon geahnt haben, dass ich ihn nicht würde heiraten können. Denn er ließ in unseren Gesprächen immer mal wieder durchklingen, dass ihn die Krisensituation mit seinem Vater wieder enger mit seiner Freundin zusammengeschweißt habe. Schließlich schlug er ein Treffen am S-Bahnhof Friedrichstraße vor. Ich wusste, es war vorbei, und die Schrecklichkeit einer Zukunft ohne Pano stand wie ein geöffneter blauer Schlund vor mir. Ich aß nicht und fand nächtelang keinen Schlaf.
Freitag stieg ich am Savignyplatz in die S-Bahn zum Hackeschen Markt. Ich hatte mir Mühe gegeben, mich hübsch zu machen. Ich fror bitterlich. Schon am Gleis kam er mir entgegen. Hand in Hand schlenderten wir zum Pergamonmuseum, setzten uns auf einen riesigen Steinsockel und schwiegen. Ich zitterte vor Kälte, vor Angst, er könnte die Worte aussprechen, mit denen er mich verstoßen würde.
Als er sie sagte, schaute er mich nicht an, strich nur mit seinem Daumen, den er sich mal bei einem Fahrradunfall gebrochen hatte, über meine Fingerknöchel.
Völlig entleert taumelte ich an seiner Hand zurück. Er nahm mich in den Arm, küsste mich nur flüchtig. Wie von Sinnen wartete ich auf den Moment, in dem er sich anders entscheiden würde. Wir erreichten die Treppenstufen des Bahnhofs, und er ließ meine Hand los. Ich wollte mich vor ihm auf den Boden schmeißen, mich an ihn klammern, ich war so verdammt einsam hier, er war der Einzige, der – er ging. Er schaute sich nicht um.
Ich erklomm die Treppen. Tränen liefen mir übers Gesicht, ohne dass ich es merkte. Völlig hilflos stieg ich in die S-Bahn. Auf dem Gangplatz eines vollbesetzten Abteils weinte ich stumm vor mich hin. Die Tränen zerplatzten auf dem abgewetzten Linoleumfußboden. Niemand sprach mich an. Alles war mir egal, sollten die von mir denken, was sie wollten. Mit dem Handgelenk fuhr ich mir immer wieder über die Augen. An meiner Station stieg ich aus dem Wagen. Ich krümmte mich auf dem Bahnsteig, hätte mich beinahe übergeben, fühlte mich kaum kräftig genug zu gehen. Wieder musste ich Treppen überwinden, diesmal abwärts. Unter der Brücke traf ich auf ein Pärchen.
»Entschuldigen Sie«, sprachen sie mich an. Ich blickte auf und sah in das erschrockene Gesicht einer Frau mit sanften Zügen. Sofort wurde ihr etwas klar, aber nun, da sie angefangen hatte zu sprechen, musste sie zu Ende reden. Sehr liebevoll sah sie mich an und meinte: »Wir suchen das Restaurant Klo, wissen Sie, wo das ist?«
Hier, dachte ich. Ich bin das Klo. Ich schickte sie zur
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