Fraeulein Jensen und die Liebe
auf das Tablett geworfen (ohne Teller). Am Ende durfte ich zwischen Pfefferminztee und Pfefferminztee wählen und habe seitdem den Geschmack nach Krankenhaus im Mund. (Seitdem ich mit acht Jahren im Krankenhaus die Mandeln herausbekam, ist Pfefferminztee für mich der Inbegriff von Krankenhaus.) Fassen wir zusammen: Ich bin ein körperliches Wrack und habe das Gefühl, im Krankenhaus zu sein. Eigentlich, so sollte man denken, müsste ich jetzt am Boden zerstört sein.
Weit gefehlt. Ich sitze gerade im Bus Richtung Europäisches Parlament, wippe die ganze Zeit aufgeregt mit den Füßen und summe leise »O Champs-Élysées« vor mich hin. (Ich weiß, dass die in Paris und nicht in Straßburg sind, aber ich finde, an dieser Stelle sollte man nicht kleinlich sein. Was zählt, ist das Lebensgefühl!)
Kurz: Ich bin so guter Dinge wie noch nie.
Was ist passiert?
Nun, ich habe mich schlichtweg in einem Spiegel gesehen. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Handlung jemals der Grund für eine innerliche Wolke sieben sein würde, denn für gewöhnlich zucke ich jedes Mal zusammen, wenn ich vor einem Spiegel stehe.
So fertig sehe ich heute aus?
Oh Gott, ich bekomme Falten.
Ich habe eben wenig geschlafen.
Aber heute? Umwerfend. Ich sehe einfach umwerfend aus.
Pia hat mir ein Kleid von Jil Sander geliehen, das sie nur einmal auf einem Architektenball getragen hat. Es endet kniggekonform genau eine Handbreit unter dem Knie, und ich muss sagen, dass – was auch immer dieses Kleid gekostet haben mag – jeder einzelne Zentimeter Stoff sein Geld wert war.
Dazu trage ich hohe Schuhe, in denen ich einigermaßen sicher gehen kann (habe gestern Abend in der Jugendherberge geübt und bin zwischen Zimmer und Essenssaal hin und her gestakst), und eine passende Tasche aus Kalbsleder (irgendwie muss ich es schaffen, dass Alexander über das weiche Leder streift, das wird mein Türöffner!).
Einziger Wermutstropfen: Ich friere. Pia hatte entschieden, dass Strumpfhose und Strickjäckchen mein gesamtes Outfit zunichtemachen würden. Heimlich habe ich zwar einen dicken Schal aus Wolle für die Rücktour eingepackt (da ist es ja schließlich egal, wie ich aussehe), aber für den Moment muss ich sagen: Ich friere gerne.
Eigentlich frage ich mich ja immer, wie die Frauen auf dem roten Teppich das machen. Unsereins sitzt mit Wollpulli und Wärmflasche an den Füßen vor dem Fernseher und Iris Berben stolziert in einer schulterfreien Robe geduldig vor den Fotografen auf und ab. Bis jetzt hatte ich immer gedacht, dass ich – sollte ich jemals auf einem roten Teppich sein – eine Winterjacke und Schal tragen müsste. Doch jetzt, in diesem Jil-Sander-Traum, wird mir einiges klar. Wenn man so ein Kleid trägt, dann trägt man es. Und beißt die Zähne zusammen. Ich glaube, ich würde in diesem Kleid sogar bei Schneeregen und Hagel auf dem roten Teppich ausharren. Ich betrachte mich in der Fensterscheibe des Busses. Wenn man nicht in mein Gesicht schaut (das ist leider natürlich immer noch dasselbe), sehe ich verdammt gut aus.
Auf der einen Seite dezent wie eine Politikergattin, auf der anderen Seite modisch elegant. Stilvoll. Einfach stilvoll. Ich finde ja, dass Carla Bruni bei ihrem ersten Antrittsbesuch nicht so gut aussah wie ich. Ob die Brigitte mein Aussehen zum Anlass nehmen wird, eine Fotostrecke über deutsche Politikergattinnen zu machen? Auf dem Titel: »Hannah Jensen – ihr eifern alle anderen Frauen nach«.
Neben meinem anlassadäquaten Äußeren (so langsam muss ich mir mal so eine Sprache angewöhnen) bin ich auch noch perfekt vorbereitet für mein neues Leben an der Seite von Alexander.
Ich habe alle Bundespräsidenten der BRD seit Staatsgründung auswendig gelernt (nur bei Lübke und Heinemann komme ich manchmal durcheinander) und weiß, dass die Farbe der Flagge der Europäischen Union »Pantone Reflex Blue« ist. Und falls ich in irgendeine fachliche Diskussion verwickelt werde, kann ich mit diesem auswendig gelernten Satz auftrumpfen: »Ein völkerrechtlich verbindliches Instrument wie der Vertrag über die europäische Energiecharta kann einfach nicht funktionieren, da er die Interessen der Exportstaaten nicht berücksichtigt.« (Habe ich auf so einer Internetseite von einem Politikwissenschaftler gefunden.)
Himmel, so gut war ich wirklich noch nie auf ein Treffen vorbereitet. Da kann einfach gar nichts schiefgehen.
»Madame?«
Bitte? Hat mich jemand gerufen? Alexander?
»Madame?«, höre ich wieder. Ach ja, ich
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