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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Auge für Frauen im Allgemeinen.«
    Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. »Gut, dass du keinen Schwanz hast«, murmelte sie. »Man munkelt, sein Haar habe die gleiche Farbe wie deines, also wird er sich vielleicht zu dir hingezogen fühlen wie zu einer Schwester.«
    Schwester im ägyptischen Sinne, wo das Wort gleichzusetzen war mit »Geliebte«? Oder einer natürlichen Schwester, weil wir dieselbe Haarfarbe hatten? Mein Schädel begann wieder zu dröhnen. »Ihr wollt nur, dass ich zu ihm gehe?«
    Sie fuchtelte mit den Händen nach ihren Sklaven, damit sie ihr aufhalfen. Takala stemmte die Hände in die ausladenden Hüften. »Du kommst mir vor wie eine einfache Sterbliche«, urteilte sie. »Doch falls du wirklich eine Göttin oder eine Meeresherrin bist, dann wirst du diesen Dadua der Hochländer mit deinen Reizen betören. Andernfalls wird niemand mehr da sein, der dich oder deinen fischschwänzigen Geliebten verehrt, weil die Pelesti dann vom Angesicht der Erde getilgt sein werden!« Sie drehte auf dem Absatz um und stampfte davon. Die Sklavinnen in ihrem Kielwasser luden Geschenke für mich ab, Kleider, Parfümfläschchen, Sandalen, ein paar Schriftrollen sowie etwas Obst.
    Nicht schlecht für jemanden, der in einem Netz angekommen war. Tamera huschte herein, Tiegel mit dampfenden Getreideprodukten in den Händen haltend. Getreidekuchen, Getreidefladen, Getreideähren, Getreidesalat mit Essig, Getreidebrei, Getreide mit Jogurt, Getreide mit Gurke.
    Gleich nebenan gab es massig Fisch, doch sie aßen nur Getreide? Konnte eine Göttin auch die Essgewohnheiten eines Volkes ändern? Ich hatte Bärenhunger, also aß ich Getreide. Und noch mehr Getreide. Der Wein war gut; das Bier schmeckte wie vorherzusehen nach Getreide.
    Während ich speiste, kamen Priester herein und trugen mir die Verse 342 bis 768 aus dem Dagon-Song vor: »Dagon mit den mächtigen Sehnen; Dagon, Vergewaltiger der Flüsse; Dagon, Geliebter, Ursinnahals; Dagon, der Salzspeiende ...« Dagon dies und Dagon das.
    Er war eindeutig der dickste Fisch in ihrer Mythologie.
    Ach ja, das Leben ist schlecht, wenn man nicht mal über die eigenen miserablen Witze lachen kann. Ich ließ die Getreidespeisen sowie das Bier wegbringen und mir Wein nachschenken und plante währenddessen weiter meine Flucht.
    Ich musste es nach Ägypten schaffen. Die Basis meiner Bedürfnispyramide war für den Augenblick befriedigt: Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Kleidung. Wie also sollte ich hier herauskommen? War ich nun Geisel oder Gast? Wie auch immer, meine Zeit war begrenzt. Die Worte des Matrosen spukten mir immer noch im Kopf herum: Schade, dass sie sterben muss.
    Ich würde nach Ägypten gehen. Zwar hatte ich keine Ahnung, wo sich mein Mann aufhielt, doch schließlich war ich erst einen Tag hier. Heute Nacht würde ich mich ausruhen, morgen würde ich mich mit Proviant eindecken, und in der Nacht darauf würde ich verschwinden. Wir würden uns schon finden. Wir hatten uns noch jedes Mal gefunden.
    Natürlich war ich früher immer jemand anderes gewesen. Nie namenlos, nie in meiner eigenen Haut. Nie war es so gewesen wie diesmal.
    Je länger der Nachmittag sich dahinzog, desto stiller wurde es im Tempel. Die Priester machten Siesta, die Sänger schrieben wahrscheinlich an neuen Versen über Dagon, die Sonne brachte den Staub in der Luft zum Leuchten. Während ich Kraft für meine Abreise sammelte, erlebte ich im Geist noch einmal die Reise durch, die mich hierher geführt hatte.
    Noch vor vierundzwanzig Stunden hatte ich mit meiner Schwester Cammy auf ihrem Bett im Hurghada Hilton gelegen. Sie würde mir nie wirklich glauben, dass ich durch die Zeit gereist war oder meinen Körper mit RaEmhetepet, der sadistischen ägyptischen Priesterin, getauscht hatte. Das war mir ziemlich schnell klar geworden.
    Konnte ich Cammy ihren Unglauben zum Vorwurf machen? Hätte ich ihr geglaubt, wenn sie mir mit so einer Geschichte gekommen wäre? Selbst wenn ich Fragen angesprochen hatte, die für mich eindeutige und nicht anders interpretierbare Fakten darstellten, hätte sie eine andere mögliche Erklärung gefunden.
    Laut Cammy war ich vor zwei Jahren entführt worden. Die Ärzte behaupteten, das Trauma dieser Erfahrung habe meine Augenfarbe verändert, von (meinem) Grün zu (RaEms) Braun. Dann hätte »ich« mich geweigert, Ägypten zu verlassen, und sei mit einem ägyptischen Playboy zusammengezogen, den kein Mensch kannte: Phaemon.
    Nur dass ich, also ich selbst, sehr wohl von Phaemon

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