Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
letzten Mal ins Netz gegangen war, »bei einem Gott einsetzen können?«
»Du bist ihm die Liebste von seinen Nixen, du bist eine Göttin, nicht wahr? Dir schenkt er den Reichtum des Meeres, Schätze, wie ich sie noch nie gesehen habe. Du musst seine allerliebste Konkubine sein.«
Ich sah auf mein noch glühendes Neonarmband und bemerkte dabei, dass ich immer noch die Halskette trug, die unzählige Male um meinen Hals gewunden war. Von Grün über Blau und Lila bis hin zu Rosa und Orange war das ganze Farbenspektrum darin vertreten. Das Glühen war ein wenig verblasst, doch es machte immer noch was her.
Das wollte nicht in meinen Kopf. Man hatte mich aus dem Meer gezogen, damit ich Dagon bat, diesen Leuten nicht die Luft abzudrehen; tatsächlich war ich ein Geschenk an ihn, und dabei kannte ich ihn bereits? »Bibin ich eine Geisel?«, stotterte ich. Ihre Miene erstarrte, denn in diesem Moment war vor dem Tempel ein Schrei zu hören.
»Ich will sie sehen!«, wiederholte die Stimme. »Ich bestehe darauf!« Diese Stimme duldete keinen Widerspruch. Ihr folgte ein Körper, eine gewaltige Frau, die auf mich zusteuerte wie ein Dampfschiff auf ein Holzfloß. Tamera - dieser Angsthase -floh und ließ mich allein mit dieser Erscheinung zurück.
Und was für einer Erscheinung.
Sie war fast so breit wie hoch, hatte kunstvoll frisiertes und gelocktes schwarzes Haar und stechende Augen, die wie Ka-lamataoliven in einer Pfanne von safranfarbenem Teig lagen, aus dem nur eine Hakennase und ein Knubbelkinn herausragten. Sie gleißte vor Gold, roch wie ein Gemüsegarten und trug das absolut hässlichste Zimtbraun, das ich je gesehen hatte.
Doch sie hatte Ausstrahlung.
Ich streckte das Kinn vor; mir waren schon mehr mächtige Frauen begegnet. Ich war Dagons liebstes Knuddelchen. Ich würde es schaffen. Ich war eine Geisel?
»Was heißt das, du -«, setzte die Frau an.
»Auf die Knie, Sterbliche«, dröhnte ich mit meiner besten tiefen Meeresherrinnenstimme. Sie sah mich zornig an und ging dann langsam in die Knie. Hinter ihr kamen Sklavinnen hereingelaufen, die für jedes Knie ein Kissen bereitlegten und die Frau bei den Handgelenken hielten, während sie sich herabsenkte. Sie spielte mir etwas vor - doch sie gehorchte mir.
Was sagt man über die Macht? Sie macht bestechlich, und absolute Macht macht absolut bestechlich. Ich war noch keine zwei Minuten lang Göttin, und schon war ich dabei, meine Befugnisse zu überschreiten.
»Meeresherrin!« Ihr Ton war nur wenig respektvoller als zuvor. Ich bedeutete ihr fortzufahren. »Hochländer bedrängen uns aus dem Osten, doch Dagon schweigt, und Ba’al verschließt sein Ohr vor unseren Sorgen! Wir haben um Gnade für die Zerstörung der Teraphim gebetet! Was müssen wir tun, damit du eingreifst?«
»Und wer«, wollte ich von oben herab wissen, »bist du?«
Sie sträubte sich sichtlich. »Takala-dagon, Königin der Pele-sti, die königliche Witwe.«
Ach. Ich lächelte verlegen.
»Wie viele meiner Söhne muss ich noch verlieren, ehe dein Mutterherz meine Gebete erhört?«
Ein Dolmetscher wäre ganz praktisch gewesen. Was in aller Welt war ein Teraphim? Wieso stellte die Königin mir solche Fragen? »Welcher Sohn sitzt zurzeit auf dem Thron?«, fragte ich. »Die Königsfamilie zu sein, ist eine Last für eure Sippe?«
»Meine Söhne haben ihr Leben gegeben, weil Ba’al und Dagon uns nicht verteidigen wollen!«, brauste sie auf.
»Und« - wieso hilft mir denn keiner?, beschwerte ich mich beim Universum im Allgemeinen - »die Hochländer greifen aus dem Osten an?« Östlich des Mittelmeeres - aus dem neuzeitlichen Jordanien?
Plötzlich verwandelte sich mein Gehirn in ein Klassenzimmer: Das Licht wurde gedämpft und ein Overheadprojektor eingeschaltet. Ein Bild der Stadt, weiß gekalkt, größtenteils rechtwinklig um ein Hafenbecken herum angelegt, wurde plötzlich dreidimensional, da der Blickwinkel immer höher stieg, bis ich schließlich aus der Vogel- oder eher Astronautenschau auf die Küste sah.
Keilförmige Buchstaben fügten sich zu Namen zusammen. Im Süden Ägypten; Gaza, Ashdod, Ashqelon, Yaffo und Qisi-lee an der Küste. Weiter nördlich eine kleine vorgelagerte Insel namens Tsor und eine weitere Stadt namens Tsidon.
»Yamir-dagon ist ein guter Herrscher«, sagte sie. »Doch ich möchte, dass er vor seinem Tod noch Vater wird! Was tut Dagon uns an? Was will er von uns? Wieso erhört er uns nicht?«
Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, um die für einen
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