Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
mich möglicherweise aus Cheftus
Leben herausgeschleudert hatte. Dann hatte mein schon fast lästiges positives Denken mir eingeflüstert, dass Cheftu bestimmt irgendwo im modernen Ägypten auftauchen würde. In dieser Hoffnung war ich zum Hoteltelefon gerast und hatte meinen Vater angerufen, in dem Versuch, die von RaEm abgebrochenen Brücken wieder aufzubauen, damit Cheftu, sobald er in der Neuzeit eintraf, einen Pass, eine Versicherungsnummer und alle nötigen Dokumente bekommen konnte.
Doch Cheftu war nicht vor mir dort eingetroffen, sonst hätte ich seine Spuren im Sand entdeckt, und er war auch nicht nach mir aufgetaucht, denn ich hatte über zehn Minuten am selben Fleck ausgeharrt. Erst danach hatte ich meine Anrufe erledigt und mich auf Cammys Bett gelegt. Mann, eine Matratze fühlte sich himmlisch an!
Als mir klar wurde, dass Cheftu nicht aufgetaucht war und wohl auch nicht mehr auftauchen würde, war ich zu dem Schluss gekommen, dass wir nur wieder zusammenkommen würden, wenn ich mich auf die Suche nach ihm machte. Und zwar hier. Wo auch immer im großen Plan dieses »Hier« war. Israel? Palästina? Jordanien? Das Philisterland?
Kanaan, korrigierte mein inneres Lexikon.
Cheftu, bist du da?, fragte ich mich, ohne auf das Lexikon zu achten. Schläfst du vielleicht ganz in der Nähe, ohne dass ich es weiß? Ich betastete mein immer noch verfilztes, aber rotes Haar. Ich steckte in meiner eigenen Haut. Dir wird nichts zustoßen, Geliebter, dachte ich und schloss die Augen.
Ich komme dich holen, wo immer du bist, dir wird nichts zustoßen.
Ihr würde noch etwas zustoßen, dachte Cheftu. Noch nie hatte er so ernsthaft einen Mord in Erwägung gezogen. Wenn sie sich noch ein einziges Mal beklagte, wenn sie noch ein einziges Mal zu jammern anfing, würde er sie mit größtem Vergnügen ein für alle Mal zum Schweigen bringen. Mit seinen blo-ßen Händen.
Womit hatte er es verdient, hier mit dieser Hexe festzusitzen? Welchen Gott hatte er vor den Kopf gestoßen? In welchen Kreis der Hölle hatte man ihn geschleudert?
»Hörst du mir zu, Cheftu?«
RaEmhetepet. Lieber Gott, wie hatte es nur geschehen können, dass er zusammen mit RaEm auf diesem Fleckchen Land, das nicht einmal die Bezeichnung Insel verdiente, gestrandet war? Er blickte in den grauen, diesigen Himmel auf und überlegte, ob dies die Strafe für irgendeine grässliche Sünde war, an die er sich nicht mehr erinnerte.
Es tut mir Leid, flehte er die Wolken an. Ich bitte um Milde.
Seit einem Tag waren sie nun hier. Und den ganzen Tag hatte sich RaEm beklagt. Erst über ihren verbrannten Körper, dann über das Wetter, dann über ihn, dann über ihren schmutzigen Leib, dann über ihren Hunger, dann über die Kälte, dann über ihren Mordshunger. Der Kreis ihrer Gedanken hatte sich geschlossen, und sie hatte sich erneut über ihn beklagt. Danach begann sie zu beschreiben, was sie alles gegessen hatte.
Und in diesem Moment hatte Cheftu beschlossen, etwas zu unternehmen.
Jetzt ruckte er an der ins Wasser hängenden Leine, in der Hoffnung, dass RaEms Ohrstecker als Köder durchgehen würde. Bitte, le bon Dieu, lass Fische im Wasser sein. Schon bei dem Gedanken an etwas zum Essen wurde ihm der Mund wässrig.
Seit Tagen hatte er nichts Anständiges in den Magen bekommen. Seit Tagen war er auf der Flucht vor Zerstörung und Tod. Er hatte Chloes Hände gehalten und ihr ewige Treue versprochen, als sich das Zeitportal geöffnet hatte. Im nächsten Moment waren ihre Finger seinem Griff entschlüpft und sie war aus seinem Blickfeld verschwunden.
Dann hatte ihn Licht umschlossen und ihn aufwärts durch Feuer und Wasser, Wind und eben jenen Erdboden gezogen, auf dem er aufgewacht war. Der Querbalken, der anzeigte, wo sich ein Zeitportal befand, jener Querbalken, dessen Schatten zuvor auf ihre Körper gefallen war, war nun zerbrochen. Das war ein Beleg für seine Reise durch die Zeit. Obwohl es ihm nur wie der Moment eines Lidschlags erschienen war, wusste er, dass er Jahrhunderte durchflogen hatte - er konnte nur nicht sagen, ob in Richtung Zukunft oder Vergangenheit.
Ein Schrei und dann ein Gurgeln aus dem Meer hatten ihn aufgeschreckt. Er war auf die Knie hochgekommen und hatte geglaubt, Chloe zu sehen. Doch stattdessen war RaEm aus dem Wasser gestiegen, seine ehemalige Geliebte, eine so bösartige und gefühllose Frau, dass sie ihren eigenen Worten zufolge versucht hatte, ihren Liebhaber umzubringen. Und zwar noch während er sie geliebt hatte. Bei dem
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