Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
Vom Netzwerk:
ich ein freier Mann. Ach! Welche Freiheit denn? Wie sie der Bauer genießt, wenn man seine Familie vor seinen Augen hingemetzelt, seine Kate niedergebrannt, seine Äcker verwüstet hat und er dahintreibt, heimatlos, bettelarm und allein, aber frei. So würde meine Freiheit aussehen, ausgenommen, daß ich in meiner Elisabeth einen Schatz besaß, ach, im Gleichgewicht mit jenen Schrecken der Reue und Schuld, die mich bis zum Tode verfolgen würden.
    Süße, geliebte Elisabeth! Immer wieder las ich ihren Brief, und manche linderen Gefühle stahlen sich in mein Herz und wagten mir paradiesische Träume von Liebe und Glück zuzuflüstern. Doch der Apfel war schon verzehrt und der Arm des Engels bereits erhoben, mich aus dem Bannkreis jedweder Hoffnung zu vertreiben. Und doch wäre ich gestorben, um sie glücklich zu machen. Führte das Ungeheuer seine Drohung aus, war der Tod unvermeidlich. Dann wieder überlegte ich, ob meine Heirat mein Schicksal beschleunigen werde. Mein Untergang konnte in der Tat ein paar Monate früher eintreten; doch wenn mein Peiniger argwöhnte, ich zögere sie, von seinen Drohungen eingeschüchtert, hinaus, würde er bestimmt andere und vielleicht noch schrecklichere Wege zur Rache finden. Er hatte gelobt, in meiner Hochzeitsnacht bei mir zu sein, jedoch hielt er sich angesichts dieser Drohung nicht für verpflichtet, in der Zwischenzeit Frieden zu geben. Denn als wollte er zeigen, daß sein Blutdurst noch nicht gestillt sei, hatte er unmittelbar nach dem Aussprechen seiner Drohung Clerval ermordet. Ich faßte daher den Entschluß, wenn die sofortige Vermählung mit meiner Kusine zu ihrem oder meines Vaters Glück beitragen würde, sollten die Pläne meines Feindes gegen mein Leben unsere Heirat um keine einzige Stunde hinauszögern.
    In dieser Gemütsverfassung schrieb ich an Elisabeth. Mein Brief war gelassen und liebevoll. »Ich fürchte, mein geliebtes Mädchen«, schrieb ich, »uns bleibt auf Erden nur wenig Glück. Doch alles, was mir noch beschieden sein mag, sammelt sich in Dir. Vertreibe Deine müßigen Befürchtungen. Dir allein weihe ich mein Leben und mein Bestreben nach Zufriedenheit. Ein Geheimnis habe ich, Elisabeth, ein schreckliches. Wenn ich es Dir enthülle, wirst Du vor Grauen erstarren, und dann, weit entfernt davon, angesichts meiner Qual überrascht zu sein, wirst Du nur staunen, daß ich nach allem, was ich erduldet habe, noch am Leben bin. Ich will Dir diese Geschichte von Elend und Schrecken am Tag nach unserer Vermählung anvertrauen, denn, meine süße Kusine, zwischen uns muß vollkommenes Vertrauen herrschen. Bis dahin aber, ich beschwöre Dich, darfst Du es nicht erwähnen und auch nicht darauf anspielen. Darum bitte ich Dich in tiefem Ernst, und ich weiß, daß Du es mir gewährst.«
    Etwa eine Woche, nachdem Elisabeths Brief eingetroffen war, kehrten wir nach Genf zurück. Das süße Mädchen hieß mich mit warmer Zuneigung willkommen. Doch ihr standen Tränen in den Augen, als sie meinen abgezehrten Körper und meine eingefallenen Wangen sah. Ich nahm auch bei ihr eine Veränderung wahr. Sie war schmaler geworden und hatte viel von jener himmlischen Munterkeit verloren, die mich früher bezaubert hatte. Doch ihre Sanftmut und ihr milder, mitfühlender Blick machte sie zu einer passenderen Gefährtin für einen Unglücklichen und Zerstörten wie mich.
    Die Seelenruhe, die ich jetzt genoß, hielt nicht vor. Die Erinnerung brachte den Wahnsinn mit sich. Und wenn ich an all das Geschehene dachte, ergriff eine wahre Umnachtung Besitz von mir; manchmal war ich aufgebracht und brannte vor Zorn; manchmal war ich bedrückt und niedergeschlagen. Ich sprach nicht und sah niemanden an, sondern saß reglos da, verwirrt von der Menge der Unglücksschläge, die mich überwältigten.
    Elisabeth allein besaß die Macht, mich aus diesen Anfällen zurückzuholen. Ihre sanfte Stimme beschwichtigte mich, wenn ich vor Wut tobte, und weckte in mir menschliche Gefühle, wenn ich in Betäubung versunken war. Sie weinte mit mir und um mich. Wenn mein Verstand zurückkehrte, machte sie mir Vorhaltungen und bemühte sich, mir Geduld und Ergebung einzuflößen. Ach! Es ist gut, wenn der Unglückliche sein Schicksal ergeben trägt, doch für den Schuldigen gibt es keinen Frieden. Die Qualen der Reue vergiften das Wohlgefühl, das man sonst manchmal darin findet, sich einem Übermaß an Kummer hinzugeben.
    Bald nach meiner Ankunft kam mein Vater auf meine sofortige Vermählung mit Elisabeth

Weitere Kostenlose Bücher