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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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ich
auch die Fähigkeit besaß, Leben zu verleihen, so stand mir doch
zunächst die ungeheuer schwierige Aufgabe bevor, einen Leib zu
schaffen mit all seinen Muskeln, Sehnen und seinem Geflecht von
Adern und Nerven. Ich war mir anfänglich im Zweifel darüber, ob ich
gleich ein Wesen schaffen sollte, das mir gleich war, oder ob ich
mich zuerst mit einem einfacheren Organismus begnügen sollte. Aber
ich war durch meine Entdeckung dermaßen kühn geworden, daß ich
nicht einsah, warum mir nicht sofort die Herstellung eines Wesens
gelingen sollte, das so kompliziert und wundervoll ist wie der
Mensch. Das mir zur Verfügung stehende Material schien allerdings
noch kaum genügend für die schwierige Aufgabe, aber ich zweifelte
keinen Augenblick, daß ich doch schließlich Erfolg haben müßte. Ich
bereitete mich auch auf alle Eventualitäten vor; meine Bemühungen
konnten unter Umständen immer wieder vereitelt werden, mein Werk
unvollendet bleiben. Und wenn auch im
Hinblick auf die Bedeutung jedes einzelnen Tages für die
technischen Erfindungen durfte ich doch hoffen, daß mir endlich der
Lorbeer des Sieges zuteil würde. Die Größe und Kompliziertheit
meines Unternehmens war mir noch lange kein Beweis für seine
Undurchführbarkeit. Mit diesen Gefühlen machte ich mich dann
endlich an die Erschaffung des menschlichen Wesens. Da die Feinheit
der einzelnen Teile lange Zeit zu ihrer Nachbildung erfordert
hätte, beschloß ich, entgegen meiner ursprünglichen Absicht, dem
Wesen eine gigantische Statur zu geben. Das heißt, ich wollte ihm
eine Größe von acht Fuß geben. Es dauerte noch einige Monate, bis
ich alles Nötige beisammen hatte und beginnen konnte.
    Es ist unmöglich die Gefühle zu schildern, die mich wie ein
Sturmwind durchbrausten. Leben und Tod erschienen mir zwei
Schranken, die ich durchbrechen und einen Strom von Licht über die
finstere Welt gießen durfte. Eine neue Art von Menschenwesen würden
mich als ihren Schöpfer preisen und manches Gute und Edle sollte
seinen Ursprung mir zu verdanken haben. Kein Vater sollte der
Dankbarkeit seiner Kinder so wert sein wie ich. Damals kam ich auf
die Idee, die ich allerdings dann später als durchaus
undurchführbar erkannte, daß es mir, der ich imstande war, leblose
Materie lebend zu machen, möglich sein müßte, auch da wieder Leben
zu erzeugen, wo der Tod bereits zerstörend eingegriffen hatte.
    Diese Gedanken waren es, die mir immer wieder Kraft zu meinem
Unternehmen verliehen. Meine Wangen waren bleich geworden und mein
Körper der Erschöpfung nahe. Manchmal meinte ich, ganz nahe an
meinem Ziele verzagen zu müssen. Aber ich klammerte mich an die
Hoffnung, daß die nächsten Tage, die nächsten Stunden schon eine
Entscheidung bringen würden. Die Freude meines Lebens war das
Geheimnis, von dem nur ich allein wußte, und oftmals leuchtete mir
der Mond bei meinen mitternächtlichen Arbeiten, die mich bis an die
verstecktesten Winkel des Naturschaffens führen sollten. Ich
unterlasse es, Ihnen die Greuel meines einsamen Schaffens zu
schildern, wie ich im Unrat von Gräbern
wühlte und lebende Wesen zu Tode quälte, um toten Staub zu beleben.
Heute zittern meine Knie und es flimmert vor meinen Augen, wenn ich
an das alles denke. Aber damals trieb es mich rastlos,
rücksichtslos weiter, so daß ich jeden Sinn für anderes verlor. In
einem stillen, abgelegenen Zimmer, oder besser gesagt einer Kammer
unter dem Dache, von allen übrigen Räumen durch eine Galerie und
eine Treppe getrennt, vollbrachte ich mein ekelerregendes Werk. Die
Augen traten mir aus den Höhlen vor Erregung und Anspannung. Die
Beinhäuser, der Seziersaal und auch die Schlächterwerkstatt
lieferten mir mein Material, und oft wandte sich mein Inneres voll
Abscheu von dieser Beschäftigung ab, während meine Schöpfung immer
mehr ihrer Vollendung entgegeneilte.
    Unterdessen waren die Sommermonate dahingeflossen. Es war eine
herrliche Zeit gewesen und niemals noch hatten die Felder so reich
gesegnet dagestanden. Aber meine Augen waren für solche Reize zu
jener Zeit völlig unzugänglich. Und aus demselben Grunde, weshalb
ich keine Freude an der Natur mehr hatte, vergaß ich auch der
treuen, lieben Menschen, von denen ich so weit entfernt war und die
ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Ich wußte, daß sie
mein Schweigen beunruhigen mußte und erinnerte mich noch recht wohl
der Worte meines Vaters: »Wenn du mit dir selbst zufrieden bist,
wirst du auch unser in Liebe gedenken und wir

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