Frankenstein oder Der moderne Prometheus
und Unglück; ich fühlte das
erste Mal seit Monaten wieder eine ruhige, ernste Freude. Ich war
deshalb imstande, meinen Freund in der herzlichsten Weise zu
begrüßen und ihn zu meiner Wohnung zu führen. Clerval erzählte mir
von unseren gemeinsamen Freunden und von seiner Freude, daß es ihm
nun auch vergönnt sei, nach Ingolstadt zu kommen. »Du kannst dir
leicht vorstellen,« sagte er, »welche Schwierigkeiten es kostete,
meinen Vater zu überzeugen, daß mit der Kenntnis der Buchführung
noch nicht alles Wissen erschöpft sei. Ich bin mir auch heute noch
nicht klar, ob er es wirklich eingesehen hat, denn seine ständige
Antwort auf meine immerwährenden flehendlichen Bitten war das, was
der holländische Schulmeister im »Vikar von Wakefield« sagt: »Ich
habe zehntausend Gulden im Jahr und das Essen schmeckt mir
ausgezeichnet, ohne daß ich Griechisch kann.« Aber schließlich
besiegte die Liebe zu mir doch seine Abneigung gegen die
Wissenschaft und er erlaubte mir dann, eine Entdeckungsreise ins
Land des Geistes zu wagen.«
»Es freut mich herzlich, dich wiederzusehen, aber nun sage mir
auch, wie geht es Vater, wie geht es meinen Brüdern und
Elisabeth?«
»Sie sind gesund und zufrieden, nur machen sie sich Sorge, weil
du so selten etwas von dir hast hören lassen. Übrigens habe ich
vor, dir deswegen noch die Leviten zu lesen. Aber, lieber
Frankenstein,« fuhr er fort, nachdem er kurz sein Gespräch
abgebrochen und mir gerade ins Gesicht gesehen hatte, »es ist mir
eben jetzt erst aufgefallen, wie elend du aussiehst. So schmal und
blaß, man könnte meinen, du hättest ein paar Nächte
durchschwärmt.«
»Du kannst recht haben! Ich bin seit einiger Zeit so angestrengt
tätig gewesen, daß ich nicht zur Ruhe kam. Aber ich hoffe
zuversichtlich, daß all das nun vorüber ist und ich endlich wieder
mein eigener Herr bin.«
Ich zitterte am ganzen Leibe und war nicht
imstande, an die Erlebnisse der vergangenen Nacht zu denken,
geschweige denn von ihnen zu erzählen. Ich schlug ein rasches Tempo
ein und bald hatten wir mein Haus erreicht. Ich überlegte und
schauderte bei dem Gedanken, daß die Kreatur, die ich in meinem
Zimmer zurückgelassen, immer noch dort sein könnte. Ich fürchtete
mich, das Ungeheuer wieder zu erblicken, noch mehr aber fürchtete
ich, Henry könnte es sehen. Ich bat ihn also, einige Augenblicke am
Fuße der Treppe zu warten, und tastete mich durch das dunkle
Treppenhaus hinauf zu meinem Zimmer. Erst als ich die Hand auf den
Türdrücker legte, kam ich wieder zu mir und kalt lief es mir über
den Rücken. Ich stieß die Tür mit raschem Rucke auf, wie es Kinder
tun, die in ein Zimmer gehen sollen und erwarten, dort ein Gespenst
stehen zu sehen. Aber keine Spur von dem Gefürchteten. Ich sprang
förmlich in die Wohnung hinein, doch Wohnzimmer und Schlafzimmer
waren leer; der unheimliche Geselle war fort. Ich konnte es gar
nicht fassen, daß mir ein solch ungeheures Glück beschieden sein
sollte. Aber nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mein Feind
wirklich geflohen war, klatschte ich vor Freude in die Hände und
eilte hinunter zu Clerval.
Ich nahm ihn dann mit herauf und das Mädchen brachte sofort das
Frühstück. Ich war jedoch unfähig, mich einen Augenblick still zu
halten; mein ganzer Körper vibrierte vor Erregung und mein Puls
hämmerte wie rasend. Ich sprang über die Stühle, klatschte mit den
Händen und lachte laut und übertrieben. Clerval schrieb das alles
anfänglich der Freude des Wiedersehens zu. Bei näherer Beobachtung
aber mochte er in meinen Augen einen wilden Fieberglanz entdeckt
haben, den er sich nicht erklären konnte. Auch mein lautes,
rücksichtsloses, herzloses Lachen war ihm vielleicht aufgefallen
und hatte ihm Sorge eingeflößt.
»Was hast du denn nur, lieber Viktor, was hast du denn?« rief
er. »Lache doch nicht so häßlich. Wie miserabel du aussiehst. Was
ist da Schuld daran?«
»Frage mich nicht,« schrie ich, indem ich die Hände vor
das Gesicht schlug, denn es war mir gerade
gewesen, als wäre das gefürchtete Gespenst lautlos ins Zimmer
gehuscht. »
Er
kann es dir sagen – rette mich,
rette mich vor
ihm
!« Ich meinte zu fühlen, wie das
Ungeheuer nach mir griff; ich schlug wie wütend um mich und brach
dann ohnmächtig zusammen.
Armer Clerval! Was mußt du ausgestanden haben? Er hatte sich so
innig auf ein Wiedersehen gefreut, und so mußte es enden! Aber ich
konnte ja seinen Gram nicht sehen, denn ich war bewußtlos und kam
lange,
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