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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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keine Ruhe finden konnte. Schließlich aber
kam doch eine entsetzliche Müdigkeit über
mich und ich warf mich auf mein Lager, vollkommen angekleidet, und
hoffte auf einige Zeit Vergessenheit zu finden. Es war umsonst!
Wohl schlief ich, aber die furchtbarsten Träume quälten und
ängstigten mich. Mir war, als sähe ich Elisabeth in der Blüte ihrer
Jugend und Gesundheit in den Straßen von Ingolstadt dahinschreiten.
Überrascht und erfreut eilte ich ihr nach und schloß sie in die
Arme. Aber kaum hatte ich ihr den ersten Kuß auf die Lippen
gedrückt, als sie fahl wurde wie eine Tote; ihre Züge veränderten
sich und ich hielt den Leichnam meiner Mutter in den Armen. Ein
Leichentuch umhüllte sie, in dessen Falten ekle Würmer krochen. Ich
fuhr entsetzt auf; kalter Schweiß rann mir über die Stirn, meine
Zähne klapperten und meine Glieder zitterten. Und da – da stand im
bleichen, gelblichen Lichte des Mondes, das durch die
Fenstervorhänge drang, das Ungeheuer, das ich geschaffen. Es hielt
den Bettvorhang mit einer Hand zurück und stierte mich mit seinen
Augen an, wenn man überhaupt von Augen reden kann. Es öffnete seine
Kinnladen und stieß einige unartikulierte Laute aus, während sich
die Haut seiner Wangen unter einem häßlichen Grinsen runzelte. Ob
es gesprochen hat, kann ich nicht sagen, denn ich hörte es nicht,
weil ich davonrannte, als es die Hand nach mir ausstreckte, und die
Treppe hinuntereilte. Ich suchte Zuflucht im Hofe des von mir
bewohnten Hauses. Dort ging ich bis zum Morgen auf und nieder, aufs
tiefste erregt, und lauschte auf jeden Laut, der sich aus dem Hause
vernehmen ließ. Mir war es, als müßte der häßliche Dämon nahen, dem
ich so leichtsinniger Weise Leben verliehen hatte.
    O, kein Sterblicher hätte ohne Grauen den Anblick dieses
Gesichtes ertragen können. Eine Mumie, die lebendig geworden,
konnte nicht so abscheulich sein als dieses Unding. Ich hatte es
betrachtet, als es noch nicht vollendet war. Es war schon damals
überaus häßlich, aber als diese Muskeln und Gelenke sich zu bewegen
begannen, sah ich, daß ich etwas geschaffen, das sich Dantes
Phantasie nicht grausiger hätte vorstellen können.
    Es war eine Nacht, die ich mein Leben lang nicht vergesse.
Zuweilen pochte mein Puls so rasch und
heftig, daß ich fühlte, wie sich jede Ader anspannte; und dann war
es mir, als müsse ich zu Boden sinken vor Schwäche und Elend. Es
war aber nicht nur das Entsetzen, es war auch die bitterste
Enttäuschung, was mich so niederdrückte. Die Träume, die ich so
lange genährt, die meine Freude gewesen, wurden mir nun zu
Höllenqualen; der Wechsel war zu rasch, zu überwältigend.
    Endlich kam der Morgen heran, trüb und feucht, und mit meinen
schmerzenden Augen konnte ich auf dem Kirchturm erkennen, daß es
eben sechs Uhr war. Der Türhüter öffnete das Tor des Hofes, der
diese Nacht meine Zuflucht gewesen, und ich eilte auf die Straße
hinaus. Mit raschen Schritten ging ich in der Stadt herum und war
in steter Furcht, daß mir an der nächsten Ecke das Ungeheuer
entgegenkommen könnte, dem ich zu entfliehen wünschte. Ich wagte
nicht heimzugehen, sondern irrte umher, trotzdem mich der Regen,
der von dem grauen, trostlosen Himmel unaufhörlich herniederfloß,
schon bis auf die Haut durchnäßt hatte.
    Lange setzte ich meinen Spaziergang fort und meinte, durch die
rasche Bewegung des drückenden Gefühles ledig zu werden, das auf
meiner Seele lastete. Straße um Straße durchwanderte ich, ohne mir
klar zu werden, wo ich war und was ich wollte. Mein Herz klopfte in
entsetzlicher Furcht und ich eilte dahin, ohne mich umzusehen.
    Plötzlich befand ich mich der Herberge gegenüber, vor der die
Post und die Reisewagen zu halten pflegten. Ich hielt in meinem
Laufe inne, ich weiß nicht warum. Aber ich stand so einige Zeit und
hatte die Augen starr auf einen Wagen gerichtet, der gerade vom
anderen Ende der Stadt herankam. Als er sich genähert hatte,
erkannte ich, daß es die Schweizer Post war. Sie hielt gerade vor
mir. Als die Tür geöffnet wurde bemerkte ich im Innern Henry
Clerval, der sofort heraussprang und auf mich zueilte. »Lieber,
lieber Frankenstein,« rief er, »wie froh bin ich, dich zu sehen!
Welch schöner Zufall, daß du jetzt gerade da bist, wo ich
ankomme.«
    Ich empfand eine unbeschreibliche Freude über
die Ankunft Clervals und bei seinem Anblick mußte ich meines
Vaters, meiner Elisabeth und meiner Heimat gedenken. Ich ergriff
seine Hand und vergaß all mein Elend

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