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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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werden regelmäßig von
dir hören. Du darfst es mir nicht verübeln, wenn ich langes
Schweigen deinerseits als einen Beweis dafür ansehe, daß du deine
anderen Pflichten in gleicher Weise vernachlässigst.«
    Ich konnte mir also gar nicht im Zweifel darüber sein, was mein
Vater von mir denken mußte; aber mein Werk hatte mich, so widerlich
es an sich war, dermaßen gepackt, daß ich mich nicht mehr losreißen
konnte. Ich wollte deshalb alles, was mit Aufmerksamkeit für andere
zusammenhing, hinausschieben, bis der große Wurf gelungen wäre.
    Ich zieh meinen Vater damals der Ungerechtigkeit, daß er mir
Nachlässigkeit vorwarf; aber heute weiß ich gewiß, daß er
recht hatte, wenn er mich nicht von Schuld
freisprach. Ein vollkommener Mensch muß sich immer die Seele ruhig
und friedvoll erhalten und darf keiner Leidenschaft auch keinem
vorübergehenden Begehren gestatten, ihn zu verwirren. Ich wage
nicht zu behaupten, daß wissenschaftlicher Eifer eine Ausnahme
bedinge. Wenn das Studium, dem man sich widmet, die Gefühle der
Liebe und Dankbarkeit vernichtet und den Sinn für einfache Freuden
tötet, dann ist es sicher nicht nützlich für den menschlichen
Geist. Wenn diese Regel immer beachtet worden wäre, dann wäre
Griechenland nicht unterjocht worden, Cäsar hätte sein Vaterland
verschont und die alten, mächtigen Reiche in Mexiko und Peru wären
nicht untergegangen.
    Aber eben merke ich, daß ich mitten im interessantesten Teil
meiner Erzählung zu philosophieren beginne. Ihre Augen mahnen mich
fortzufahren.
    Mein Vater machte mir in seinen Briefen keine Vorwürfe wegen
meines Schweigens und bekundete nur dadurch sein Interesse daran,
daß er sich eingehender als bisher um meine Studien kümmerte.
Winter, Frühling und Sommer waren über meiner Arbeit
dahingeflossen; aber ich beachtete nicht das Blühen und Sprießen.
Früher hatten diese Erscheinungen mich stets mit der größten Freude
erfüllt, so tief war ich in meine Ideen vergraben. Und die Blätter
wurden welk, noch ehe mein Werk vollendet dastand; aber jeder Tag
ließ mich jetzt einen Fortschritt erkennen. Nur war mein Eifer
einigermaßen mit Angst gemischt. Ich hatte Gefühle, wie sie ein
Sklave hegen muß, der in den Minen zu arbeiten gezwungen wird,
nicht aber wie ein Künstler, der sein Lebenswerk schafft. Jede
Nacht fieberte ich und wurde entsetzlich nervös; ein Knarren in der
Diele ließ mich zusammenfahren und an den Menschen schlich ich
vorbei, als hätte ich ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen. Und
wenn ich mich im Spiegel ansah, erschrak ich über mein Aussehen;
nur der eiserne Wille hielt mich noch aufrecht, mein Ziel zu
erreichen. Nun war es bald zu Ende und ich konnte dann durch
körperliche Übungen und Vergnügungen dem
drohenden Unheil Einhalt tun; und das versprach ich mir, wenn ich
nur erst meine Schöpfung vollendet haben würde.

Kapitel 5
     
    Es war eine trostlose Novembernacht, als ich mein Werk fertig
vor mir liegen sah. Mit einer Erregung, die fast einer Todesangst
glich, machte ich mich daran, dem leblosen Dinge den lebendigen
Odem einzublasen. Es war schon ein Uhr morgens. Der Regen klatschte
heftig an die Fensterscheiben, als ich beim Scheine meiner fast
ganz herabgebrannten Kerze das trübe Auge der Kreatur sich öffnen
sah. Ein tiefer Atemzug dehnte die Brust und die Glieder zuckten
krampfhaft.
    Wie könnte ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, und das
Ungetüm schildern, das ich da mit so viel Mühe und Fleiß
geschaffen? Seine Glieder waren proportioniert und seine Züge hatte
ich möglichst schön gemacht. Schön! Großer Gott! Seine gelbliche
Haut genügte kaum, um das Geflecht von Muskeln und Adern zu decken;
sein Haar war glänzend schwarz und lang; seine Zähne wie Perlen.
Aber das alles bildete nur einen um so auffallenderen Gegensatz zu
den wässerigen Augen, die sich von den Augenhöhlen kaum abhoben,
der faltigen Haut und den schwärzlichen, schmalen Lippen.
    Nichts ist flüchtiger als die menschlichen Gefühle. Nahezu zwei
Jahre hatte ich gearbeitet, nur um etwas zu schaffen, dem ich Leben
einflößen könnte. Dazu hatte ich mich also meiner Ruhe und
Gesundheit beraubt! Mit der ganzen Glut meines Herzens hatte ich
mich nach der Vollendung gesehnt, und nun war die Schönheit des
Traumes verblichen, unsäglicher Schrecken und Ekel erfüllten mich.
Unfähig, den Anblick meines Geschöpfes noch länger zu ertragen,
rannte ich aus dem Laboratorium und in mein Schlafzimmer, wo ich
auf- und abging, da ich

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