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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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lange nicht mehr zu mir.
    Mit diesem Zwischenfall hatte ein heftiges Nervenfieber seinen
Anfang genommen, das mich monatelang ans Bett fesselte. Während
dieser Zeit hatte Henry ganz allein meine Pflege übernommen. Später
erfuhr ich, daß er meinen Lieben in der Heimat die ganze
Gefährlichkeit meiner Krankheit verschwiegen hatte, weil er wußte,
daß mein Vater schon zu alt war, um die lange Reise zu machen, und
daß Elisabeth sich zu Tode gehärmt hätte. Da er überzeugt war, daß
niemand imstande wäre, mich aufopfernder und aufmerksamer zu
pflegen als er, und fest an meine Wiederherstellung glaubte, wagte
er es, die Verantwortung zu übernehmen und so den Meinen einen
Liebesdienst zu erweisen.
    Ich war wirklich sehr elend daran, und sicherlich hat mich nur
die unausgesetzte, hingebende Pflege meines Freundes vom Tode
errettet. Das Ungetüm, dem ich das Leben gegeben, schwebte mir
immer vor und in meinen Fieberphantasten spielte es die Hauptrolle.
Henry wußte sich anfangs meine Reden nicht zu deuten und hielt sie
jedenfalls für die Produkte eines fieberglühenden Gehirns. Da sich
aber dieselben Szenen immer wiederholten und meine Gedanken immer
auf denselben Punkt zurückkehrten, wurde er sich doch klar, daß
irgend ein seltsames, schreckliches Ereignis zu meiner Erkrankung
den Anlaß gegeben haben mußte.
    Sehr langsam schritt meine Genesung vorwärts, immer wieder
aufgehalten durch Rückfälle, die meinem Freunde viel Gram und Sorge
verursachten. Ich erinnere mich noch genau des Augenblickes, da ich
zum ersten Male wieder Dinge wahrnahm, die mich umgaben; wie ich mich darüber freute, daß die
gefallenen Blätter nun nicht mehr zu sehen waren, sondern daß die
Knospen an den Bäumen vor meinem Fenster aufsprangen. Es war ein
wunderschöner Frühling, der zu meiner Gesundung ein gut Teil
beitrug. Ich empfand, wie sich Gefühle der Liebe und Freude wieder
in meiner Brust zu regen begannen. Allmählich wich der Alb von mir,
der mich so bedrückt hatte, und nach kurzer Zeit war ich so froh
wie damals, als mich jene unselige Leidenschaft noch nicht gepackt
hatte.
    »Teurer Clerval,« sagte ich, »wie gut und edel du bist! Diesen
ganzen Winter hast du mir geopfert statt zu studieren. Wie soll ich
das je heimzahlen? Ich mache mir bittere Vorwürfe, denn ich war ja
die Ursache, und bitte dich mir zu verzeihen.«
    »Ich will nichts, als daß du dich nicht aufregst und möglichst
bald gesund wirst; und da du dich gerade in so guter Laune
befindest, darf ich doch etwas mit dir besprechen?«
    Ich zitterte. Etwas! Was konnte das sein. Vielleicht dies Etwas,
an das ich gar nicht zu denken wagte?
    »Rege dich nicht auf,« sagte Clerval, der bemerkt hatte, wie ich
blaß wurde, »wenn es dich quält, will ich nicht weiter davon reden.
Aber ich wollte nur sagen, daß dein Vater und Elisabeth glücklich
sein würden, wenn sie endlich einmal wieder einen Brief von deiner
eigenen Hand erhielten. Sie wissen ja nicht, wie krank du warst,
und dürften sich deinetwegen ängstigen.«
    »Ist das alles, lieber Clerval? Glaubst du nicht, daß meine
Gedanken zu denen fliegen, die ich liebe und die meine Liebe
wirklich verdienen?«
    »Nun denn, mein Freund, dann wird es dir jedenfalls auch Freude
machen, diesen Brief zu öffnen, der seit einigen Tagen hier liegt
und auf dich wartet. Er ist von Elisabeth, wenn ich nicht
irre.«

Kapitel 6
     
    Der Brief, den mir Clerval übergab, war von Elisabeth und
lautete:
Liebster Viktor!
    Du bist krank gewesen, sehr krank, und auch die immerwährenden
Briefe des guten, lieben Clerval können mich nicht genügend
beruhigen. Ich weiß, daß Du nicht schreiben, keine Feder anrühren
darfst; aber ein Wort, ein einziges Wort von Dir genügt, um unsere
Befürchtungen zu zerstreuen. Ich meinte, jede Post könne dieses
einzige Wort endlich bringen, und nur meine feste Überzeugung, daß
das geschehen müsse, hielt Onkel davon ab, die Reise nach
Ingolstadt zu unternehmen. Ihn habe ich allerdings abgehalten, die
Unbequemlichkeiten, ja sogar Gefahren dieser langen Reise auf sich
zu nehmen; aber wie oft habe ich es bedauert, daß ich selbst sie
nicht wagen konnte! Ich bildete mir ein, daß den Dienst an Deinem
Krankenbett eine alte Lohnpflegerin tat, die niemals Deine Wünsche
so erraten und sie so erfüllen konnte, wie es Deine arme Elisabeth
verstanden hätte. Aber das ist nun vorüber! Clerval schreibt, daß
es Dir in der Tat wieder wesentlich besser geht, und ich bitte Dich
flehentlich, mir dies mit

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